Muss man Alles verstehen?

Zur Zeit Jesu und auch heute noch, spielen Wunder eine große, wichtige  Rolle für viele Menschen. Sie machen betroffen, neugierig, sie verweisen auf die Macht Jesu, Sie lassen auch Fragen aufkommen: welches Wunder soll oder kann Jesus für mich wirken? Warum wirkt Jesus dieses Wunder nicht für mich?
„Das heutigen Evangelium zeigt uns: wenn wir beim bloßen Wunder hängen bleiben, dann kann es passieren, dass wir an der eigentlichen Botschaft, am Wesentlichen, vorbeigehen.“ Sagte Diakon Rudi Bittmann in seiner heutigen Predigt.

Predigt zum Ausdrucken

Diakon Rudolf Bittmann,
06. Juni 2010, 10. Sonntag i. Jkr.
Lk 7,11-17

Es gibt für mich und wahrscheinlich für jeden von uns Stellen im Evangelium, die wir nicht so mögen, weil sie nicht zu unserem Verstand passen wollen. Vor vielen Jahren bekam ich einen Tipp, dem ich immer noch folge: nimm es einfach hin, du musst nicht alles verstehen. Eine gute Methode, die glänzend versagt, wenn ich heute über so eine Stelle predigen soll.

Zuerst stellt sich die Frage, was mein Problem ist mit dieser „Jüngling von Nain“-Geschichte? Nun, ich gestehe ein, ich bin nicht gar so wundergläubig. Eine Auferweckung von den Toten zum dann wieder alten Leben erscheint mir unsinnig. Nicht unmöglich. Natürlich ist Gott allmächtig. Aber wenn er in den Ablauf seiner so fein vernetzten irdischen Schöpfung eingreifen würde, dann hätte das jeweils unabsehbare Folgen für unabsehbar viele andere.

Es hat auch etwas mit der uns zugesagten Freiheit zu tun. Mit einem Gott, der auf diese Weise eingreift, wären wir nur eine Art Zinnfiguren, die in einem riesigen Diorama hin- und hergeschoben werden.

Ich bin sicher, dass es Wunder gibt, aber ich bin ebenso sicher, dass die vor allem in uns, in unseren Herzen statt finden.

Dieser auferweckte Jüngling von Nain wird ja früher oder später doch sterben, so wie wir alle sterben müssen. Auch durch so ein Wunder kann der Tod aus unserem Leben nicht verdrängt werden.

Aber ich glaube, ich bin jetzt ein bisschen hinter das Geheimnis dieses Evangeliums gekommen. Es geht nämlich gar nicht um den jungen Mann. Jesus und seine Jünger begegnen einem Trauerzug. Hinter dem Sarg ihres einzigen Kindes geht die Mutter, eine Witwe. Das ist tragisch, das wäre auch heute tragisch. Aber jetzt müssen wir uns ein wenig einlassen auf die Gegebenheiten der Zeit damals. Wenn eine Frau geheiratet hat, dann ist sie aus ihrer alten Familie ausgeschieden und in die neue eingetreten. Die alte Familie ist nicht mehr verantwortlich für sie. Falls der Mann starb, war die Frau mittellos. Die einzige Chance für sie, für ihre Existenz, waren Söhne, die für sie sorgen konnten.

Hier ist das Furchtbare geschehen: auch der Sohn, quasi die Lebensversicherung der Witwe, ist tot. Für die Mutter bleibt bitterste Armut, bleibt Ausgestoßen sein, bleibt ein Leben, das im sozialen Gefüge des Judentums an unterster Stelle gefristet werden muss. Ein Leben, das dann im Alter nur mehr ein bloßes Dahinvegetieren verheißt. Klassisch durchs soziale Netz gefallen. Ein Tod der anderen Art.

Und so geht es in diesem Evangelium tatsächlich um eine Auferweckung. Das Leben der Witwe war in diesem Moment kein Leben mehr, war nicht mehr lebenswert, war sinnlos. Jesus ist dem Trauerzug begegnet. Er hat hingesehen, er hat die Zusammenhänge gesehen und er hatte Mitleid. Im griechischen Urtext steht es noch viel stärker. Auf unsere Sprache übertragen etwa: es ging ihm durch und durch; es wühlte ihn auf.

Jesus hat dieses tote Leben wieder zum wirklichen Leben gebracht.

Er hat die verzweifelte, hilflose, ausgelieferte Frau gesehen und er hat ihr Sicherheit, Perspektive und Würde gegeben. Er hat der Witwe wieder zum Leben, wieder ins Leben geholfen.

Es geht um das Hinsehen, um die Sorge umeinander und füreinander. Und um das Tun. Hinsehen und Sorgen, das können wir auch. Und auch etwas tun. Das ist der Auftrag an seine Jünger, also an uns. Das sind die Wunder, die wir leisten können, die wir wirken können.

Offen ist noch die Frage, wie ist das jetzt genau mit der Auferweckung von den Toten.

Ich denke, wir nehmen das einfach so hin, wir müssen nicht alles verstehen.