Jubiläumserinnerungen zum Jahresschluss

„Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“. (Joh 14,26)

Liebe Schwestern, liebe Brüder
die Erinnerung ist die Fähigkeit des Menschen, frühere Erlebnisse und Erfahrungen mental wiederzubeleben und andere daran teilnehmen zu lassen. Erinnerungen sind in der Regel multimedial, d.h. sie enthalten bildhafte Elemente, Geräusche, Gerüche und vor allem Gefühle. Wie wichtig die Erinnerung ist, zeigt sich bei Menschen mit Demenz, die aufgrund der Erkrankung nicht imstande sind, den Alltag selbständig zu bewältigen. Sie vergessen die einfachsten Abläufe des Alltags, die früher selbstverständlichsten Handgriffe.

Ohne Erinnerung scheinbar kein Leben. Aber ist die Erinnerung so stark, dass sie jemand am Leben erhalten kann? Ich frage mich das öfters, wenn ich im Zusammenhang mit Begräbnissen auf solche Sprüche stoße wie:

„Du bist gestorben, aber nicht tot. Denn solange ich mich an dich erinnere, wirst du leben.“ „ Du lebst in meinen Gedanken, meinen Worten, in meinem Tun, jeden Tag solange ich lebe.“

Ist die Erinnerung – also das Halten, Wiederbeleben der vergangenen Zeit – ein Garant für das Leben, noch dazu für das ewige Leben? Lebt der Mensch nur dann, wenn er sich erinnern kann und hat die Erinnerung eine so göttliche Kraft, dass sie den Tod besiegen kann? Natürlich nicht, denn manchmal ist das Vergessen ein Schutz vor traumatischen Erfahrungen und wenn überhaupt, dann kann nur die Liebe und nicht die Erinnerung den Tod bezwingen.

Da wir aber heuer das Jubiläum 60 Jahre Kirchweihfest gefeiert haben, sollen wir uns fragen, wie wichtig die Erinnerung  im Pfarrleben ist, was sie für uns bedeutet, oder sogar uns prägt?

Das Wort Erinnerung kommt in der Bibel sehr selten vor. Eine Stelle, die besonders erwähnenswert ist, ist im Johannesevangelium, wo es heißt: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“. (Joh 14,26) Diese Art von Erinnerung ist auf die authentische Botschaft ausgerichtet, damit die Apostel nichts vergessen und nichts weglassen von dem, was Jesus getan und gelehrt hat. Sie ist der Garant der Weitergabe des Evangeliums, also der Geschichte des Wirkens Jesu, wodurch die Barmherzigkeit Gottes und seine Nähe zu allen, die sich auf ihn öffneten, spürbar und greifbar wurde. Biblisch hat die Erinnerung immer etwas mit der Gegenwart zu tun. Sie ist die Versicherung, dass Gott, der in der Geschichte gewirkt und die Menschen begleitet hat, sie auch jetzt in der Gegenwart und auch in der Zukunft nicht verlässt. Die biblische Erinnerung hat immer einen Einfluss auf das gegenwärtige Leben des Volkes und der einzelnen Menschen.

Und in diesem Sinne können wir unsere Jubiläumserinnerungen betrachten. Sie sind keine alten G’schichtln, die keinen Einfluss auf uns heute haben. Wir spüren noch den Geist der vielen Glaubensseminare, den Geist des Bemühens um ein ordentliches Pfarrzentrum, den Geist der Sorge um eine gute Gemeinschaft in der Vogelweide und Solidarität auch mit denen, die weniger haben. Dieses Spüren und sich Erinnern hilft uns, das Wirken Gottes in unserer Umgebung wahrzunehmen, um sicher zu sein, dass er nicht nur vor 60 oder 30 Jahren bei uns Zuhause war, sondern es auch heute noch ist. Denn Gott ist kein Gott der Vergangenheit, sondern ein Gott des Lebens gestern, heute und morgen, ein Gott, der sich in jeder Zeit und in jeder Generation finden lässt, um mit uns zu gehen, uns aufzurichten, zu heilen, uns einst zu vollenden.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
die religiöse Demenz, also die Unfähigkeit, das vergangene Wirken Gottes in meinem Leben wachzuhalten und mental zu beleben, gehört zu den größten Herausforderungen unserer Kirche. Viele Menschen unserer Zeit können sich nicht erinnern, als sie hier und dort in ihrer Kindheit oder als Jugendliche die Erfahrung gemacht haben, dass Gott sie begleitete und beschützte.
Als Pfarre sind wir dazu eingeladen, sie darauf aufmerksam zu machen, Ihnen zu helfen, unseren Gott der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft in ihrem Leben z entdecken.

Ich wünsche uns allen, dass wir als christliche Gemeinde, im Geist unserer Mütter und Väter dazu bereit sind, Gott und seine heilende frohmachende Botschaft zu verkünden. Ich wünsche uns, dass wir uns an alles erinnern, was Gott bereits an uns getan hat und daraus die Sicherheit gewinnen, dass er auch heute und im Neuen Jahr mit uns geht und uns segnet.

Slawomir Dadas
Pfarrer