Stand halten trotz Grenzerfahrung

„Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus und Salome wohlriechende Öle, um damit zum Grab zu gehen und Jesus zu salben. Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging. Sie sagten zueinander: „Wer könnte uns den Stein vom Eingang wegwälzen? Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß. Sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr. Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte. Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ Mk 16, 1-7

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wir leben in einer Zeit, in der viele Grenzen aufgehoben werden. Vieles von dem, was vor dreißig, vierzig Jahren als Tabu galt – als eine Grenze, die man nicht überschreiten durfte – gibt es heute nicht mehr. Im Bereich des guten Benehmens, der Sprache, der Kommunikation, der Freizeitgestaltung aber auch in politischen Bereichen gelten ganz andere Regeln.

Wer atmet verliert! Nur ‚Flaschen‘ tauchen mit Flaschen – echte Taucher brauchen keine Hilfsgeräte. Wer bremst ist ein Spaßbremser – echte Freaks fahren den Berg hinunter, ohne zu bremsen. Das sind nur zwei Beispiele aus den Verzeichnissen der besten Adrenalinkicks oder Erlebnisgeschenke. Wem das zu steil ist, der kann um 75 Euro ein Auto zertrümmern oder schon fast veraltete Bangee Jumping, Fallschirm-Tandemsprünge machen.

Grenzen, die aufgehoben werden – und Menschen, die einen verstärkten Drang nach Grenzerfahrungen haben. Aufgehobene Grenzen als Weg zum gegenseitigen Verständnis, zur Entspannung – und Menschen, die an die Grenzen gehen, die sich selbst psychischen oder körperlichen Belastungen aussetzen.

Was hat der Glaube mit den Grenzen zu tun und hat er Antworten in den Grenzerfahrungen unseres Lebens? Der Glaube beschäftigt sich nicht mit dem Wunsch nach einem Freizeit-Adrenalin-Kick, aber er verschließt die Augen nicht vor den Grenzerfahrungen der Menschen. Diese werden besonders dort geortet, wo der Mensch in das Netz der Sünde gerät.

Wo einer den anderen zu erniedrigen versucht, wo einer dem anderen den Lebensraum beschneidet, wo einer dem anderen das Recht zum Leben abspricht, dort gibt es Grenzerfahrungen. Wo der Neid nicht zulässt, dass sich jemand entwickelt und entfaltet, wo die Gier die Hand ausstreckt nach dem Gut des anderen, wo die Herrschsucht sich ausbreitet und den anderen von sich psychisch oder körperlich abhängig macht, dort werden die Grenzerfahrungen gemacht mitten im Leben. Stand halten im Guten gegen die Sünde ist die Antwort des Glaubens auf solche Grenzerfahrungen. Sich nicht hineinziehen lassen in den Teufelskreis des Bösen, sondern sich und die menschlichen Verletzungen durch Gottes Liebe heilen zu lassen.

Aber dann noch der Tod – eine spezielle Grenzerfahrung des Menschen, die jede und jeden im Leben erreichen wird. Gerade in diesem Punkt, an dem die Gesellschaft ihre Grenzen erfährt und nur Vertröstungen oder Ablenkungen bietet, sagt der Glaube: bleib standhaft, denn Gott lässt dich auch im Tod nicht alleine. Er will dich und deine Lieben mit dem neuen Leben beschenken im Reich des Auferstandenen Christus.

Liebe Schwester, liebe Brüder,
wir Christen laufen nicht vor den Grenzerfahrungen davon, aber wir suchen sie nicht dort, wo der Blutdruck höher wird und der Schweiß auf die Stirn tritt. Wir sehen die Grenzerfahrungen dort, wo der Mensch in seiner Existenz bedroht wird und trotzen ihnen mit unserem Glauben an Gott, der die Sünde und den Tod besiegt hat. Wir trotzen dem Netz des Bösen, indem wir uns für das Gute entscheiden; indem wir versuchen, das Netz des Heiles über unsere Welt zu spannen.

Wir trotzen auch dem Tod, der uns an unsere Grenzen bringt und besiegen ihn mit dem Glauben, dass unser Gott der Gott des Lebens ist, und alle Menschen zum ewigen Leben beruft.

Ich wünsche uns allen, dass wir die trotzige Haltung gegen den Verrat, gegen die Verzweiflung und gegen die Grenzerfahrungen behalten. Ich wünsche uns, dass wir nicht angepasst an die Gesellschaft leben, sondern immer bereit sind zu (christlichen?) Trotzreaktionen, wenn das Leben bedroht und beschnitten wird, wenn man versucht, dem Leben Grenzen zu setzen.

Slawomir Dadas
Pfarrer