Gibt es in 30 Jahren noch eine Pfarre in der Vogelweide?

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wird es in dreißig Jahren noch eine Pfarre in der Vogelweide geben? Wollen Sie das überhaupt? Wollen das Ihre Kinder und Enkelkinder, die die Zukunft gestalten werden? Gerade jetzt, wo wir vor dem Abschluss der Kandidatensuche für den Pfarrgemeinderat stehen, kommen solche Fragen automatisch in den Sinn. Für wen, wofür sollte man sich engagieren, wenn wir am Anfang jedes Jahres lesen können, dass es alleine in Wels ca. 600 Katholiken weniger gibt? Machen wir das alles, um selbst eine gewisse Befriedigung zu erfahren, oder weil wir unbedingt eine Tradition erhalten wollen? Interessiert jüngere Menschen noch die Gemeinschaft der Kirche als eine Stimme in der Gesellschaft, oder entwickeln wir uns in eine Richtung, wo unsere Glaubensgemeinschaft nur noch eine Randgruppe ist, ohne irgendeine Bedeutung? Hat es noch einen Sinn, sich für die christlichen Werte einzusetzen, wenn wir merken, dass sowohl auf der europäischen Ebene als auch schon in Österreich die bisher geltenden Grundsätze wie Schutz des Lebens von Anbeginn bis zum natürlichen Tod in Frage gestellt werden? Wenn man dazu noch die ausdrücklichen Gegner der Kirche nimmt, die uns mit allen Mitteln und Methoden bekämpfen, dann sind die Fragen nach der Kirche in der Vogelweide in der Zukunft dringend zu stellen.

Denn es ist nicht zwingend notwendig, dass die nächste Generation die Aufgabe übernimmt, für das Leben der christlichen Gemeinde zu sorgen. Es ist möglich, dass sich etwas aufhört und an der bisherigen Stelle nicht mehr existiert. Ich bin kein Untergangsprophet, aber ich kenne die Geschichten einiger christlicher Stätten, die einst in voller Blüte standen und heute nur noch als Ruinen oder Museen besichtigt werden können. Wie muss also eine christliche Gemeinde ausschauen, um etwas besonderes auszustrahlen und dadurch auch in der Zukunft anziehend auf die Menschen zu wirken?

In der Lesung aus dem Brief an die Gemeinde in Korinth haben wir von verschiedenen Gaben, Charismen, Talenten gehört, die in einer tiefen Verbundenheit mit Gott jeder einzelnen Person geschenkt werden. Sie sind für Paulus das Fundament einer christlichen Gemeinschaft, wenn sie zwei Voraussetzungen erfüllen. Erstens, wenn sie als echte Gabe, als unverdientes Geschenk Gottes gesehen und dadurch mit einer demütigen Dankbarkeit angenommen werden. Diese Haltung bewahrt vor Überheblichkeit im Dienst, vor Einsatz der Fähigkeiten als Selbstdarstellung, um möglicherweise daraus Profit zu schlagen. Die zweite Voraussetzung ist die Überzeugung, dass die Gaben geschenkt wurden, damit sie anderen nützen. Sie sind nicht zur Selbsterbauung des Empfängers, sondern zum Aufbau und zur Stärkung der Gemeinde. Diese Haltung bewegt zum Dienst an der gemeinsamen Sache, zur Suche nach dem Willen Gottes nicht nur für mich selbst, sondern für uns als Gemeinschaft. Dass es dabei eine von Gott gewollte und geschenkte Vielfalt an Gaben gibt, die nicht in Konkurrenz zu einander stehen, sondern sich ergänzen und dadurch das Miteinander stärken, ist der Plan Gottes.

So könnte die Vogelweide noch in fünf, zehn, dreißig Jahren eine strahlende Pfarrgemeinde sein, wenn sich genug Menschen finden, die mit Gott eine tiefe Verbundenheit leben, die sich als von Gott Beschenkte erkennen und die ihre Begabung als Dienst an der Gemeinschaft sehen, damit der Glaube bei uns weiterhin gelebt, verkündet und gefeiert werden kann.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

das heutige Evangelium vom Wunder in Kana spricht vor allem von einer aufmerksamen Frau und von dem Willen, in der Not anderen zu helfen. Maria stellt sich nicht auf die Seite der Zuschauer oder noch viel schlimmer, auf die Seite der Verspottenden. In aller Stille handelt sie, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Sie hat die ihr geschenkte Gabe der Achtsamkeit  erkannt und für die anderen eingesetzt. Sie ist ein Vorbild, wie eine einzelne Person zum Wohl der Gemeinschaft handeln kann.

Ich wünsche uns allen, dass wir imstande sind, die Gaben und Charismen, mit denen Gott uns beschenkt hat, zu erkennen und für das Leben als Gemeinschaft einzusetzen. Ich wünsche uns, dass wir im Miteinander unsere Pfarrgemeinde tragen und dadurch viele Menschen begeistern, für die Beziehung zu Gott, für die Beziehung mit uns als Gemeinschaft und für die Beziehung der Nächstenliebe zu Menschen, die uns unbedingt auch in der Zukunft brauchen werden.

Slawomir Dadas
Pfarrer