Dass sie eins seien

„Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich.“ (Joh 17,21-23) Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wir stehen am Ende der Gebetswoche um die Einheit der Christen. Sie erinnert uns an die Bitte Jesu, die er laut Johannes beim Abschiedsmahl ausgesprochen hat: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ Sie macht uns auch jedes Jahr bewusst, dass wir – d. h. die christlichen Kirchen – diesen Auftrag Jesu nicht ganz erfüllen. Denn, wir sind in vielen wesentlichen Bereichen nicht eins. Aber vielleicht liegt die Ursache dafür im Verständnis der Einheit. Ich möchte Sie einladen, dass wir heute ein wenig darüber nachdenken.

Es gibt z. B. eine Vorstellung von der Einheit, als Einheitlichkeit. Sie wird vor allem in totalitären Systemen als Ideal dargestellt: Alle sollen gleich denken, gleich wählen, für das Gleiche eintreten, scheinbar gleichviel besitzen. Wenn jemand in einer solchen Gemeinschaft aus der Reihe tanzt, wird er zum Störfaktor, oft zum Feind erklärt und aus der Gruppe ausgeschlossen, weggesperrt, ins Exil geschickt. Die extreme Form einer solchen Einheit erleben wir derzeit auf der politischen Ebene in Nordkorea, wo, wie berichtet wurde, Menschen eingesperrt wurden, weil sie zu wenig um den verstorbenen „Vater der Nation“ getrauert hätten. Ein solches System lässt sich nur durch die Anwendung von Gewalt aufrecht erhalten.

Es gibt eine weitere Vorstellung von der Einheit, als die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Sie wird oft in der Wirtschaft oder auch in der Politik angewendet. Um die Konkurrenz auszuspielen, verbünden sich manchmal Firmen oder Parteien zu einer Kooperation oder Koalition. Diese wird in der Regel auf die Zusammenarbeit beschränkt, mit der Voraussetzung, dass die eigene Identität und die eigenen Besonderheiten bewahrt werden können. Diese Art von Einheit könnten wir als eine zweckorientierte bezeichnen, in der es vor allem um ein paar eigene und ein paar allgemeine Vorteile geht.

Die beiden genannten Vorstellungen von der Einheit werden hier und dort auf die Kirche übertragen. Die erste durch die Fundamentalisten, die die Freiheit des Menschen in der Unterordnung des eigenen Willens einer bestimmten Autorität sehen und dadurch die Kirche in die Nähe der totalitären Systeme schieben. Die zweite bei vielen liberalen Gruppen, denen es nicht um die Inhalte der Botschaft, sondern vor allem um die äußere Erscheinung der Kirche geht. Beide entsprechen dem Wunsch Jesu nach Einheit nicht.

Für Jesus ist die Einheit weder mit der der Macht und Kontrolle der Richtigkeit des Glaubens noch mit einem allgemeinen Gefühl von scheinbarer geschwisterlicher Zusammengehörigkeit verbunden. Wenn Jesus von der Einheit spricht, dann meint er eine Gemeinschaft von Menschen, die bereit sind ihm so nachzufolgen, dass andere erkennen, dass er vom Vater gesandt wurde. Wenn Jesus von der Einheit spricht, dann meint er eine Gemeinschaft, die sich weder durch Macht noch Beliebigkeit auszeichnet, sondern durch die Bereitschaft, dem Nächsten in der Liebe zu dienen. Wenn Jesus von der Einheit spricht, dann meint er keine Strukturgebilde, sondern die Herzen der Menschen, die für Gott und die Mitmenschen schlagen, die auf Gott und auf die Not der anderen ausgerichtet sind.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

die Einheit der Christen sollte ein Zeugnis für Gott und für die Sendung Jesu sein. Die Einheit soll der Welt bewusst machen, dass wir eine Botschaft des Friedens und der Zusammengehörigkeit vertreten und leben. Ich wünsche uns allen, dass es uns gelingt, für die Einheit als vielfältiges Glaubensleben einzutreten. Ich wünsche uns, dass wir die verschiedenen christlichen Traditionen als Bereicherung sehen und als Zugänge zu Gott, der sich in der Menschheitsgeschichte auf verschiedene Weise offenbart hat.

Slawomir Dadas
Pfarrer