„Dass sie eins seien“

„Aber ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich.“ (Joh 17,20-23)

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

was bedeutet für Sie die Einheit der Kirche? Meint sie, dass Ihre Banknachbarin und Banknachbar gleich wie Sie denken und fühlen, und die gleichen Frömmigkeitsformen praktizieren? Beschränkt sich die Einheit nur auf das gemeinsame Beten oder geht sie auch darüber hinaus? Würden Sie mit diesen Menschen, denen sie im Gottesdienst begegnen, auch privat einmal was unternehmen wollen, oder reicht es Ihnen, wenn Sie sie Sonntag für Sonntag sehen und höflich den Friedensgruß austauschen?

Das heutige Evangelium verlangt von uns, dass wir über die Einheit nachdenken. Christus betet, dass seine Kirche eins wird nach dem Vorbild des dreieinigen Gottes. Er träumt davon, dass die Einheit unter seinen Jüngern ein Erkennungszeichen für seine Sendung und für unsere Auserwählung wird. So sind wir heute herausgefordert, uns zu fragen: Was ist die Einheit und wie ist sie zu verstehen?

Die Einheit im Glauben ist etwas anderes als die Einheit in vielen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Systemen. Dort wird sie oft als eine Parteiverordnung verstanden, um die Einstimmigkeit zu erreichen; oder als Unterwerfung unter die speziellen Rechte eines Erstgeborenen, Auserwählten und finanziell Erfolgreichen; oder auch als freiwillige Annahme des Diktats der Medien und der öffentlichen Meinung. Einheit als ein Gefühl einer Masse, die entweder einer Mode oder der Befriedigung von vorgegebenen Bedürfnissen nachläuft.

Die Einheit der Kirche ist etwas anderes. Sie bedeutet gegenseitige Annahme und Respekt aus der Überzeugung, dass die Wege zu Gott unterschiedlich sein dürfen. Sie ist die Überwindung des Bestrebens, alle gleich machen zu wollen. Und vielleicht ist die Kirche gerade dadurch immer so angreifbar, weil sie eine Vielfalt an Meinungen zulässt und aushält. Die Kirche war nie ein Monolith der gleich Denkenden und gleich Fühlenden – auch wenn sie manchmal als solche dargestellt wird.

Wir feiern gemeinsam Eucharistie, also den Tod und die Auferstehung Christi: mit denen, denen der Zölibat wichtig ist und mit denen, die ihn für ein Hindernis in der Entwicklung der Kirche halten. Wir beten miteinander: die, die für Frauen ein Weieheamt verlangen und die, die Frauen nur in der Familie und bei der Kindererziehung sehen. Wir bekennen, dass wir an den einen Gott glauben: die, die sich mit den homosexuellen Paaren schwer tun und die, die jedem Menschen entsprechend seiner Neigung eine Beziehung zugestehen.

Die Kirche ist seit ihrem Bestehen eine Gemeinschaft in Vielfalt – aber getrieben vom selben Geist und von derselben Kraft: von der Liebe Gottes.

Wir sind ein bunter Haufen, weil wir katholisch sind. Das Wort „katholisch“ bedeutet „allumfassend“, „allgemein“ im Sinne der Vollständigkeit und Ganzheit. Und wenn wir von der Einheit sprechen, dann meinen wir nicht das Verlangen nach einheitlichen Ausdrucksformen des Gebetes oder der religiösen Praktiken. Wir meinen nicht den Wunsch nach einheitlichem Denken, nach der Beseitigung der Vielfalt, die uns herausfordert und uns weiterentwickeln lässt.

Mit Einheit meinen wir die Zusammengehörigkeit, die als Fundament die Liebe hat; denn die Liebe ist die Wesenseigenschaft der Einheit. Wie Christus im Auftrag des Vaters die Fremden, die Ausgestoßenen mit Liebe annahm und dadurch die Einheit mit ihnen zum Ausdruck brachte, so sind auch wir zu einer solchen Einheit verpflichtet.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wenn Christus um die Einheit betet, dann betet er darum, dass wir glaubwürdig aus Liebe handeln und den Menschen mit Liebe begegnen. Wenn Christus für die Einheit eintritt, dann meint er keine Abgrenzung und Einengung, sondern die Öffnung der Räume, für alle, die am Heil Gottes noch nicht teilhaben.

Ich wünsche uns, dass es uns gelingt, Zeugen einer solchen Einheit zu sein, die die Menschen einlädt, mit uns und mit Gott zu gehen. Ich wünsche uns, dass wir als Gemeinschaft erkannt werden, in der Gott lebt und wirkt und zusammenführt, was bisher getrennt war.

Slawomir Dadas

Pfarrer