Durch Leistung und Spekulation zum erfüllten Leben?

predigt dadas„Brüder! Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es. Die Welt erkennt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. Liebe Brüder, jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Jeder, der dies von ihm erhofft, heiligt sich, so wie Er heilig ist.“ (1 Joh 3,1-3)

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
das Wort „Leistung“ schien noch vor einigen Jahren ein Schlüssel zum Erfolg, zu einem glücklichen und erfüllten Leben zu sein. Wer viel leistet, kann sich auch etwas leisten, kann sich Träume verwirklichen, war bis vor ein paar Jahren die Regel in der Gesellschaft. Irgendwann einmal wurde aber die Leistung durch ein neues Phänomen – durch „Spekulation“ – ausgetauscht und damit ist eine neue Haltung entstanden: Du kannst viel leisten, aber richtig erreichen kannst Du erst dann etwas, wenn Du spekulierst, wenn Du riskierst, möglichst viel aufs Spiel setzt.

Da die beiden Haltungen mit dem Wunsch nach einem geglückten Leben verbunden sind, haben sie gewisse Parallelen zu religiösen Fragen, die auch wir Christen uns immer wieder stellen: Wann ist das Leben erfüllt? Was brauchen wir, um einen Zustand der Zufriedenheit zu erreichen, der mich sozusagen selig macht? Am heutigen Tag, am Tag der Heiligen und der Seligen wollen wir diesen Fragen nachgehen.

Auch wenn es in der Kirche immer wieder Versuche gab und gibt, die Religiosität und den Glauben der Menschen zu bemessen, merken wir, dass so etwas nicht ganz passend ist. Denn was ist mehr wert vor Gott: zwei Rosenkränze oder zwei Krankenbesuche, Spenden für die Mission oder der regelmäßige Besuch des Sonntagsgottesdienstes? Die Übertragung des Wirtschaftsdenkens auf Gott und auf unsere Beziehung zu ihm verbiegt in der Regel den Glauben und lässt kranke Formen der Religiosität entstehen.

Allerheiligen ist kein Fest der Leistungen im Glauben und auch kein Fest der religiösen Spekulationen. Die oben angeführten Vokabeln müssen wir durch andere austauchen und zwar das Wort „Leistung“ durch das Wort „Offenheit“ und das Wort „Spekulation“ durch das Wort „Vertrauen“.

Die Heiligkeit – und dadurch das erfüllte Leben – bedeutet die Offenheit für Gott, für sein heiliges und heilendes Wirken in der Welt und Offenheit für die Sorgen und Nöte der Mitmenschen. Die Heiligkeit ist gerade ein Gegensatz zur Leistung, zum Drang, alles aus eigener Kraft machen zu müssen, ein Gegensatz zur Leistung, die mich zum Egoisten macht, der sein Glück in den materiellen Gütern sucht und dabei den Nächsten übersieht.

Die Heiligkeit, also das erfüllte Leben, bedeutet auch das Vertrauen, dass ich und die Mitmenschen von Gott geliebt und beschenkt werden. Sie ist ein Ausdruck einer Beziehung zu ihm, die in verschiedenen Formen, in Gebeten und in Werken der Nächstenliebe gepflegt wird. Sie ist ein Gegensatz zum Zufall, zum Schicksal, die mit den Menschen nicht mitfühlen können. Sie ist ein Gegensatz zur Beziehungslosigkeit, die mich und die anderen vereinsamen lässt.

Allerheiligen ist also ein Fest der Menschen, die in Offenheit und im Vertrauen auf Gott ihr Leben gestaltet haben oder auch gestalten. Allerheiligen ist ein Fest der Vollendeten aber auch derer, die voll Hoffnung der Vollendung entgegen gehen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
es ist eine alte menschliche Weisheit, dass ein erfülltes Leben weder im Schweiße des Angesichts erarbeitet und noch durch Spekulationen erreicht werden kann. Ein erfülltes Leben ist weder Reichtum noch Besitz sondern ein Geschenk, das in der offenen und vertrauensvollen Begegnung mit Gott, mit den Mitmenschen und mit der Welt zuteil werden kann. Ich wünsche uns, dass es uns bewusst wird, dass Gott uns zum Heil und zum Leben in Fülle beruft. Ich wünsche uns, dass wir uns dem Plan Gottes – die Welt zu heiligen – vertrauensvoll öffnen und davon Zeugnis ablegen, dass Gott schon hier und jetzt zum Leben in Fülle verhilft.

Slawomir Dadas, Pfarrer