Gründe zum Dankbar-Sein

„Schwestern und Brüder! Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde Geduld! Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. In eurem Herzen herrsche der Friede Christi, dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar! Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit! Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade. Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Durch ihn dankt Gott, dem Vater!“  Kol 3, 12-17

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wie viele Kilos haben Sie in dem zu Ende gehenden Jahr abgenommen? Haben Sie sich beim Rauchen eingeschränkt oder sogar ganz damit aufgehört? Wie oft sind Sie sporteln gegangen und ist es Ihnen gelungen, öfters Freunde zu besuchen? Und haben sie nur Vollkornbrot gegessen, mindestens drei Mal in der Woche Gemüseauflauf und Fisch, weniger Alkohol getrunken und die meisten Produkte direkt am Bauernmarkt eingekauft?

Das waren doch Ihre Vorsätze für das Jahr 2016, oder? Wenn Sie vieles davon umsetzen konnten, war das wahrscheinlich ein gutes Jahr für Sie –  wenn nicht, dann sprechen Sie von einem weniger guten.

Solche Beurteilungen werden nach dem Leistungsprinzip getroffen. Je mehr geleistet, desto besser das Gefühl. Und wenn wir so weiter denken, dann war das auch für uns als Pfarre ein sehr erfolgreiches Jahr:  in der neugestalteten Kirche wurde die neue Orgel aufgestellt. Das Leistungsprinzip hat aber nicht selten einen negativen Einfluss auf die Zufriedenheit und Dankbarkeit. Es gibt genug Investoren, die drei Prozent Gewinnsteigerung als Niederlage betrachten, was in Konsequenz zu Mitarbeiterentlassungen führt, um Kosten zu sparen. Man muss sich schon fragen, ob die Vorsätze ausschließlich nach dem Leistungsprinzip das Wesentliche treffen, oder nur eine Art Ersatzbefriedigung für Misserfolge und Niederlagen des Lebens darstellen. „Haben oder Sein?“ hat bereits in den 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts der Psychoanalytiker Erich Fromm gefragt, mit der Absicht, den Menschen einen Weg zu einem glücklichen und dankbaren Leben aufzuzeigen.

Also noch einmal zum Ausgangspunkt, aber mit dem Bezug zum Wesentlichen des Lebens. Sind Sie dankbar für das Jahr 2016, nicht weil Sie etwas geleistet haben, sondern weil sie in der Menschlichkeit, im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe gewachsen sind? Sind wir als Pfarre dankbar? Nicht nur, weil wir so viel gebaut haben, sondern weil wir Räume schaffen konnten, in denen unsere Gemeinde gut feiern und spirituelle Begegnungen mit Gott finden kann; weil wir dadurch Menschen unserer Zeit besser ansprechen und sie – durch den Raum und durch die Musik inspiriert – Wege zu Gott und zu sich selbst finden? Nur unter solchen Aspekten haben solche Vorhaben eine Berechtigung und einen Sinn und sind ein Grund zur Freude und Dankbarkeit. So gesehen kann auch ein weniger gutes Jahr ein Jahr der großen Dankbarkeit sein. Es kann sein, dass auch ein Jahr, indem scheinbar einiges zusammengebrochen ist, uns eine Chance bietet, neu anzufangen und uns mit der Zeit mit Dankbarkeit erfüllt.

Es kann sein, dass auch ein Jahr, in dem jemand erkrankt ist, so viel Menschlichkeit und Zuwendung hervorrief, dass wir auch für ein solches Jahr dankbar sind. Es kann auch sein, dass in einem Jahr, in dem jemand gestorben ist, uns bewusst wurde, was wir durch einen Menschen geschenkt bekamen und uns dadurch das Gefühl der Dankbarkeit nicht loslässt.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
ein gutes, gelungenes Jahr hängt nicht damit zusammen, ob jemand viel geleistet hat oder nicht, sondern damit, ob jemand darauf dankbar zurückblicken kann. Ein gutes Jahr ist ein solches, in dem unser Lebenssinn vertieft oder gefunden wurde, indem wir dazu beitragen konnten, dass wir durch unser Leben den Mitmenschen und Gott näher gekommen sind.

Ich wünsche uns allen, dass wir beim jedem Rückblick, den wir machen, diese Perspektive nicht außer Acht lassen. Ich wünsche uns, dass wir unser Bemühen stets auf unser Sein ausrichten und dadurch das kommende Jahr mit seinen Geschenken für uns, mit oder ohne Leistung dankbar annehmen.

Slawomir Dadas
Pfarrer