Bibeltexte als Programm für die neue Regierung

„So spricht der Herr: Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen. Ihr sollt keine Witwen und Waisen ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören. Mein Zorn wird entbrennen, und ich werde euch mit dem Schwert umbringen, so dass eure Frauen zu Witwen und eure Söhne zu Waisen werden. Leihst du einem aus meinem Volk, einem Armen, der neben dir wohnt, Geld, dann sollst du dich gegen ihn nicht wie ein Wucherer benehmen. Ihr sollt von ihm keinen Wucherzins fordern. Nimmst von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand, dann sollst du ihn bis Sonnenuntergang zurückgeben; denn es ist seine einzige Decke, der Mantel, mit dem er seinen bloßen Leib bedeckt. Worin soll er sonst schlafen? Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid.“ Ex 22, 20-26

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wir haben die erste Runde der Regierungsbildung hinter uns. Die Herren und die Damen der großen Politik haben sich getroffen und über mögliche Koalitionen gesprochen. Zumindest medial war dabei vom besonderen Interesse, welche Partei auf welche Ministerien pocht und welche die einflussreichsten davon besetzt. Wir wissen nicht, was hinter der verschlossenen Tür gesprochen wurde und die Emotionen in der Bevölkerung, die vor der Wahl spürbar waren, sind scheinbar verflogen. Aber gerade jetzt, wo es um konkrete Programme, Geldverteilung, Schwerpunktsetzung geht, müsste sich das Volk einmischen und noch einmal die Stimme erheben. Aufgrund der heutigen Lesungen, möchte ich das heute tun und ein wenig dahin spinnen.

Stellen Sie sich vor, dass – sagen wir – der größte katholische Prophet des Landes Kardinal Schönborn zu den Herren Kurz und Strache geht und ihnen die biblischen Texte des heutigen Sonntags vorliest. Ja, vielleicht müsste er auch eine einfache Erklärung abgeben, weil die Herren, obwohl sie scheinbar für christliche Werte eintreten, sicher nicht immer Zeit haben, sich in den Sinn der Bibel zu vertiefen. Also, er geht hin und sagt:

„Geschätzte Volksvertreter mit einer über 50 prozentigen Mehrheit. Der Glaube an Gott ist keine Theorie, sondern ein konkretes Leben und es verlangt von uns, im eigenen Lebensbereich die Gottesgebote umzusetzen. Darum möchte ich höflich daran erinnern, was es in der Bibel steht mit der Hoffnung, dass sich einiges von dem im neuen Programm für Österreich wiederfindet. Und zwar: Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten. Das betrifft ebenfalls die Witwen und die Waisen. Sie alle müssen sozial abgesichert werden.

Wenn die Banken Geld verleihen, dann sollen sie gesetzliche Vorgaben bekommen und keine Wucherzinsen fordern. Denn junge Menschen, die Kredite aufnehmen, um sich ein eigenes Haus zu schaffen, sollen nicht nur für Zinsen arbeiten müssen.

Das Wichtigste im Leben, also die Liebe zu Gott und zu dem Nächsten, muss in der Gesellschaft mehr Platz bekommen als die Sorge um den Wirtschaftsstandort Österreich. Denn es geht nicht darum, dass die Millionäre und Konzernbosse noch mehr besitzen, sondern darum, dass die Menschen glücklicher sind, dass sie sich ein menschenwürdiges Leben leisten können und Zeit haben für Gott, für den Nächsten und für sich selbst.“

Was glauben Sie, was würden die beiden Herren Kurz und Strache dem Kardinal sagen? Na super, darauf haben wir gewartet, dass endlich jemand die Stimme für die Schwachen erhebt. Oder eher, Eminenz, Herr Kardinal, wir wissen eh was christlich ist; ein Erntedankfest in Dirndl und Lederhose, direkt verbunden mit einem Oktoberfest, a g’scheite Fronleichnamsprozession, bei der die Mitglieder der Parteien den Himmel tragen und vielleicht, wenn es gerade passt, eine schöne Mette zu Weihnachten in der „Mozart“ gespielt wird.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
was ist christlich, was ist Gott gewollt oder anders gefragt: was ist das Wichtigste im Glaubensleben? Die Antwort ist wirklich in den heutigen Lesungen zu finden und sie heißt: Vergiss Gott nicht, vergiss den Mitmenschen nicht und vergiss nicht das vorzuleben, um andere Menschen für den Herrn zu gewinnen. Oder anders gesagt: Sei Vorbild in der Beziehung zu Gott, sei Vorbild in der Beziehung zu den Mitmenschen, damit die anderen durch Dich Liebe und Hoffnung erfahren und Wege zu Gott finden.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
ich will keinen christlichen Religionsstaat. Ich will keine Religionsgesetze für das ganze Land. Ich will nur, dass Menschen, die sich Christen nennen, als Christen leben und dadurch Gott in der Welt erfahrbar machen. Ich wünsche, dass es uns gelingt aus der Beziehung zu Gott, echte Sorge für alle zu tragen. Ich wünsche uns, dass wir nicht gleichgültig an denen vorbei gehen, die von Politik und Wirtschaft im Stich gelassen werden und ums Überleben kämpfen müssen.

Dr. Slawomir Dadas
Pfarrer

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