Der Stein hat nicht das letzte Wort

„Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um damit zum Grab zu gehen und Jesus zu salben. Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging. Sie sagten zueinander: Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen? Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß. Sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war, da erschraken sie sehr. Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte.“ Mk 16, 1-6

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Steine gehören zum menschlichen Leben und haben eine sehr unterschiedliche Bedeutung. Sie werden im großen Stil verbaut und als Architekturdenkmäler bewundert, sie werden teuer gehandelt und in den Ringen, Armbändern und Kolliers getragen. Der Stein kann als Waffe eingesetzt werden, aber er kann auch das Leben retten, wenn er als Stützmauer eines Hauses aufgestellt wird. Bei den Wanderungen, speziell im Gebirge, können Steine zu Stolperfallen werden, durch die man stürzt, sich aber hoffentlich nicht zu sehr verletzt. In der Bibel haben die Steine ebenfalls vielfache Bedeutung. Einerseits wird berichtet, dass Steine bei der Umsetzung der Todesstrafe dienten, die manchmal durch Steinigung ausgeführt wurde, andererseits waren sie auch als Grababdeckung in Verwendung, was in der Auferstehungsgeschichte beschrieben ist.

So haben Steine auch eine symbolische Bedeutung für unser Leben. So manche Ereignisse, die uns in schwierige Situationen gebracht haben, bei denen wir ins Straucheln kamen, nennen wir Stolpersteine. Einiges, was uns belastet, was scheinbar kaum zu tragen ist, was uns zur Erde drückt und krümmt, bezeichnen wir als Steine, die uns auferlegt sind.

Der Tod eines lieben Menschen ist immer ein Stein und er lastet immer auf den Hinterbliebenen. Gerade in der Situation des Todes stehen wir hilflos da und schauen uns um nach Menschen und ausgestreckten Händen, die uns helfen würden, die Steine mitzutragen: die Steine der Verlassenheit, die Steine der Einsamkeit, die Steine der Neuorganisation des eigenen Lebens, die Steine der Erinnerung, die Steine der unerfüllten Pläne und Träume …

Das heutige Evangelium beschreibt uns eine ähnliche Situation aus dem Leben der Frauen, die in der Nachfolge Jesu standen und ihm noch den letzten Dienst nach seinem Tod – die Salbung seines Leichnams – erweisen wollten. Sie hatten Bedenken, ob sie es schaffen, weil sie den schweren Grabstein vor Augen hatten. Sie gingen trotzdem hin, vielleicht mit der Hoffnung, Menschen zu finden, die ihnen helfen, vielleicht mit dem Glauben an ein Wunder, vielleicht aus Verzweiflung, weil sie es Zuhause nicht ausgehalten hätten, oder aus dem Pflichtbewusstsein, dem Verstorbenen etwas schuldig geblieben zu sein.

Genau in diese Situation tritt Gott ein. Vielleicht hätten sich die Frauen eine andere Hilfe gewünscht, vielleicht hätten sie lieber Jesus getroffen und ihn gleich nach Hause mitgenommen. Aber nein. Gott wendet sich ihnen durch einen Gesandten zu, der sie auf das Selbstverständliche hinwies: Er hat euch eh gesagt, dass das alles passiert. Geht, lebt weiter, verschließt euch nicht, bleibt ein Teil der Gemeinschaft, er wird bei euch sein. Aber nein, sie erschraken, flüchteten und schwiegen.

Und genau das sind die Verhaltensweisen, die auch uns in der Trauer versteinern lassen: Das Erschrecken und die Flucht vor der Zukunft, das Schweigen über unsere Gefühle, über Ängste, über alles, was uns belastet. Aber Gott lässt uns in dieser Situation nicht allein. Er trägt an unseren Steinen mit, er wälzt sie weg, er sendet uns Menschen, die bereit sind, mit uns mitzugehen und uns in die gute Zukunft zu begleiten.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wir glauben an einen Gott, der dem Stein nicht das letzte Wort lässt. Wir glauben an einen Gott, der uns neue Wege zum Leben zeigt, der uns ermutigt, weiter zu gehen, sich von der Gemeinschaft tragen zu lassen, um wieder neuen Mut zum Leben zu gewinnen.

Ich wünsche uns allen, dass wir mit unseren Steinen, die uns durch den Tod eines lieben Menschen auferlegt wurden, nicht alleine bleiben. Ich wünsche uns, dass wir füreinander Stütze und Kraft sind. Endlich wünsche ich uns, dass wir aus dem Glauben an den Gott des Lebens und der Liebe neuen Mut schöpfen zu einem Leben, das nicht vor allem steinig, sondern hoffnungsvoll ist und auch uns in die Gemeinschaft der Vollendeten führt.

Dr. Slawomir Dadas
Pfarrer