Konkret werden

Liebe Schwestern und Brüder in Christus, liebe Geschwister im Glauben!

„Konkret werden“ diese Überschrift habe ich der heutigen Predigt gegeben. Und ich will mit Ihnen 3 Ebenen betrachten: eine ist der Text der Lesung, eine ist das Evangelium und die dritte unser Handeln heute.

Ebene 1: Zur Lesung aus dem Buch Exodus:

Es gibt in den Schriften der Bibel mehrerer sehr berührende Gottesbegegnungen – wo Gott ganz konkret erlebbar wird. Ich denke an Abraham, an Elija, an die Vision des Jesaja (die wir Anfang Februar hier im Gottesdienst gehört haben) oder an Maria Magdalena und deren Begegnung mit dem Auferstandenen am Ostermorgen.

Auch Mose begegnet Gott in beeindruckender Weise.

Die Dramaturgie ist in drei Stufen aufgebaut:

  1. Gott, gibt sich zu erkennen im Alltag in besonderer Form – im brennenden und doch nicht verbrennenden Dornbusch. Nicht an herausragenden Orten sondern in der Normalität der Alltags-Geschäftigkeit taucht er auf. Beim abgelegenen Hüten der Tiere seines Schwiegervaters am Berg Horeb tritt Mose gegenüber in Erscheinung.
  2. Gott, weiß um die Leiden des Volkes Israel. Das ist keineswegs nur distanziert. Gott nimmt wahr, wie sehr das Volk unter der Knechtschaft leidet und sagt die Befreiung zu. Nicht irgendwohin, sondern in das Land wo Milch und Honig fließen – ein hoch attraktives Zukunftsbild der Fülle für die geknechteten Menschen der damaligen Zeit. Gott ist aber auch kein „Press the button“ – Gott, frei nach dem Motto: „ich drück hier auf den Knopf und plötzlich ist es schon so“. Die Flucht und Suche des Volkes Israel in der Wüste wird auch Verirrungen, Heraus- und Überforderungen beinhalten – das wissen wir heute und sie wird 40 Jahre dauern – also Generationen lang!
  3. Gott, gibt sich einen Namen „Ich bin, der „ich bin““ – damit wird er benennbar für die Angehörigen des Volkes Israel und er gibt Berührungspunkte mit der bisherigen Geschichte an: Abraham, Isaak und Jakob, die an ihn glaubten, sind die VIPs, besonders wichtige Persönlichkeiten  in der Geschichte Israels.

Mose, der sich selber für unwürdig hält. Mose, der einen Aufseher erschlagen hat, weil dieser einen Israeliten (er)schlug und nach Midian flüchten musste (vgl. Ex 2,11-22), wird zur Leitfigur des Auszugs des Volkes Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten. Der Schafhirte darf zur Gallionsfigur der Befreiung des Volkes Israel wachsen – auch wenn ihm vermutlich zu dem Zeitpunkt alles andere als klar ist, wie er beim Pharao vorsprechen soll. Einmal mehr sucht Gott nicht nach der charismatischen Führungsgestalt, sondern nach dem „Normalen“ und traut zu, dass wir über uns selbst hinauswachsen. Mit seinem Rückenwind ist auch das scheinbar Unmögliche zu erreichen.

Ebene zwei:

Beim Blick in die zweite Schriftstelle, das Evangelium nach Lukas, kommt mir die Frage entgegen: Wer sind wir, um urteilen zu können, wo Gott korrigierend eingreift oder eingreifen müsste und wie? Dahingehend ermahnt uns Jesus im Evangelium: Was hätten diese Menschen Schlimmeres getan, dass ihnen so besonderes Unglück widerfährt? Zwei konkrete Vorfälle gibt der Evangelist Lukas hier an, mit denen die Zuhörenden offensichtlich vertraut waren. Heute würde er sich vielleicht auf den Angriffskrieg auf die Ukraine beziehen.

Jesus ist sehr klar in seiner Aussage:  Egal, was wir im Leben getan haben, wir sind immer wieder der Umkehr bedürftig, unabhängig davon, von woher wir an den aktuellen Punkt unseres Lebens gekommen sind. Im griechischen Text des Lukasevangeliums und in der Apostelgeschichte ist der Ausdruck „metanoia“ (um, denken) einige Male zum Einsatz gekommen – zu übersetzen mit Buße, innere Umkehr, Sinnenswandlung ein mehrfach verwendeter und bedeutsamer Begriff.

Die zentrale Frage ist: Wohin wir umkehren? Was soll mit uns anders werden? Auch wenn wir in manchen Punkten unseres Lebens meinen, ganz im reinen mit uns selbst und der Welt tu sein, wir haben das nicht ein für alle Mal erreicht. Nein, wir bedürfen immer wieder der bewussten Reflexion, der Standortbestimmung und auch der Neuausrichtung.

Mit dieser Mahnung alleine bleibt Jesus aber nicht stehen. Im heutigen Evangelium billigt der Winzer, für den er steht, eine weiter Rehabilitierungsmöglichkeit zu und setzt sich beim Besitzer des Weinbergs – Gott – dafür ein.

Noch eine Chance zu erhalten, wie oft wird uns das im Leben zugesprochen? Dem Baum, der nichts tragen will, wird aber nicht nur noch ein zusätzliches Jahr gewährt, in dem er zeigen kann, dass er Früchte bringt, er wird sogar noch gepflegt und gedüngt, um ihm so einen guten Start zu ermöglichen.

Ebene 3: Wie sehen nun die konkreten Früchte unseres Lebens aus?

An ein Gespräch im Pfarrhof anlässlich der beginnenden kriegerischen Invasion des russischen Militärs in der Ukraine kann ich mich noch gut erinnern. Ob wir am Kirchturm eine Friedensfahne aufhängen oder ein Friedensgebet initiieren, habe ich gefragt.

Klar ist das Gebet wichtig – ohne jeden Zweifel. Klar ist ein Zeichen bedeutsam. Aber ist das alles, was wir tun sollten? Selbst im Wissen um die Kraft der Bilder und der Bedeutung von symbolischen Gesten bleibt vieles offen.

Den Weg, der von der Pfarre Wels Hl. Familie eingeschlagen wurde, ist letztlich ein anderer. Ein ganz konkretes Anliegen für die in die Flucht Getriebenen zu unterstützen: durch unsere Sammlung von Feldbetten, Matratzen, waschbaren Decken für einen der Orte, wo die Flüchtlinge versorgt werden und wohin es einen persönlichen Bezug gibt. Beeindruckend viele haben sich dem schon angeschlossen und tun das immer noch.

Und seit dieser Woche leben im Pfarrhof vier Frauen, die aus ihren Heimatstädten in der Ukraine geflüchtet sind, nach beängstigenden Erlebnissen in ihren Heimatstädten und für uns schwer vorstellbaren Entbehrungen (ums eigene Überleben bangen angesichts von Bomben und Raketenangriffen, Nahrungs- und Schlafentzug über Tage, Menschen und Dinge, die man zurücklassen musste).

Allen, die sich hier eingebracht haben und ganz besonders dir, Slawomir, bin ich dankbar dafür, dass Solidarität nicht nur ein Wort oder ein Facebook-Posting ist, sondern handfest und zielgerichtet geschieht, mitten unter uns. Das sind Hoffnungszeichen in der verfahrenen Situation. Hier wird der Einsatz für die Nächsten spürbar.  Das Schwert*, das wir symbolisch heute aus den Ruinen vor dem Altar gehoben haben, findet seine richtige Anwendung.

 

*Hinweise zum „Schwert“ aus der heutigen Einleitung zum Gottesdienst:

An dem Wahlwochenende zur Pfarrgemeinderatswahl ist ein leichtes Knistern in der Luft spürbar, immer dann, wenn es darum geht, jemandem Vertrauen zu schenken, ist das für mich wahrzunehmen. Für die kommenden fünf Jahre werden am Samstag und am Sonntag die Weichen gestellt, wer im Pfarrgemeinderat ehrenamtlich mitarbeitet. Erfreulich ist schon, dass sich so viele Kandidat*innen bereit erklärt haben. Stimmen werden voraussichtlich alle bekommen. Alleine die Anzahl der Stimmen entscheidet dann, wer die Funktion als Pfarrgemeinderät*in direkt antreten kann.

Immer wenn wir Entscheidungen treffen, tun wir gut daran, auf die Stimme Gottes zu hören. An eine intensive Gottesbegegnung  erinnert uns heute die Lesung aus dem Buch Exodus.

Entscheidungen oder Unterscheidungen trennen. Manchmal Gutes vom Schlechten. Manchmal Gutes vom Besseren. Sich für etwas zu entscheiden, das heißt gleichzeitig auch sich gegen etwas zu entscheiden. Keine Entscheidung zu treffen, das ist auch eine Entscheidung. Wir lassen dann Optionen und Chancen einfach verstreichen. Als Symbol für diesen Vorgang haben wir unter den Ruinentrümmern ein Schwert gefunden. Mit dem Schwert als Ritter aufzutreten, das heißt, sich für etwas einzusetzen, zu kämpfen für ein Ideal – für das Gute und Schöne im Leben. Immer wieder haben auch Heilige ihr Schwert eingesetzt – wir erinnern uns zum Beispiel an den Heiligen Martin, der seinen Mantel mit dem Schwert entzweit hat, um einen Teil dem Bettler zu geben. Schwerter können Fesseln durchschneiden und sich damit für jemanden einsetzen. Sie erinnern uns daran, dass wir im Leben auch etwas riskieren sollen. Von der langjährigen Präsidentin der Katholischen Aktion Margit Hauft habe ich noch den Satz im Ohr: „Wer sich einsetzt, setzt sich aus“. Im Evangelium trifft im dortigen Gleichnis der Winzer eine Entscheidung, die ein Mehr an Arbeit für ihn bedeutet und seine Hoffnung möglicherweise enttäuscht, aber sie bedeutet eine weitere Chance auf Wachstum. Auch wenn wir Rückschläge hinnehmen müssen, wir wollen im Einsatz für den Frieden unseren konkreten Beitrag einbringen.

Christoph Burgstaller
Pastoralassistent