Fundamente einer guten Gemeinschaft

„Sucht den Herrn, solange er sich finden lässt, ruft ihn an, solange er nahe ist. Der Ruchlose soll seinen Weg verlassen, der Frevler seine Pläne. Er kehre um zum Herrn, damit er Erbarmen hat in ihm, und zu unserem Gott; denn er ist groß im Verzeihen. Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege – Spruch des Herrn. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.“ Jes 55, 6-9

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wir leben in einer Zeit der virtuellen Gemeinschaften. Einige sind weltumfassend, die anderen beschränken sich auf bestimmte Nationen oder Gruppen. Viele von uns gehören zu der großen Facebook- oder Whatsapp-Familie, zu den Freunden des einen oder des anderen Forums, das Austausch von Gedanken und Bildern ermöglicht. Eine typische Eigenschaft für diese Art der Gemeinschaften ist, dass sie sehr schnelllebig sind und nur bedingt Generationen übergreifend genutzt werden. Als ich im Sommer mit einigen Jugendlichen sporteln war, wurde ich aufgeklärt, dass das Facebook schon out und vor allem für die Gruftis ist und Snapchat vor allem von den Kids genutzt wird.

Diese Schnelllebigkeit macht mich aber nachdenklich. Sie ist scheinbar ein Ausdruck unserer modernen Wegwerf-Gesellschaft. Weil wir so viel haben, weil wir uns so viel leisten können, können wir auch sehr schnell auf etwas verzichten, was vor fünf oder zehn Jahren noch so besonders war. Es stellt sich also die Frage, ob es überhaupt noch Gemeinschaften gibt, die bestimmte Moden und Trends überdauern? Gibt es noch Orte, an denen Menschen sich geborgen fühlen können, auch über die Jahre hinweg und unabhängig von der Zeit, in der sie leben?

Da wir 60 Jahre Kirchwehfest feiern, wollen wir heute dankbar auf unsere Pfarre schauen, die im Laufe der Zeit hunderten Menschen Heimat geworden ist, sie geprägt, gestärkt und entwickelt hat. Heute danken wir allen Seelsorgern und Seelsorgerinnen, und allen anderen, die ihre Zeit und ihre Begabungen in den Dienst der Gemeinschaft gestellt haben. Durch Euch ist die Pfarre gewachsen, hat sie sich entwickelt und ist noch heute ein Ort der Begegnung und der Solidarität, für viele Menschen unserer Stadt.

Da wir aber aus der Geschichte Kraft schöpfen wollen, um in die Zukunft zu gehen, denken wir darüber nach, was eine gute Gemeinschaft ausmacht und auf welchen Fundamenten sie gebaut werden muss, um auch im einundzwanzigsten Jahrhundert für die Menschen ansprechend und attraktiv zu sein. Ich glaube, dass die heutigen Lesungen viele Hinweise beinhalten, die uns dabei helfen.

In der Lesung aus dem Buch Jesaja haben wir gehört: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege“ was man in die Alltagssprache einst übersetzt hat: „Der Mensch denkt und Gott lenkt“. Dieser Satz bedeutet, dass nicht alles im Leben machbar ist, besonders dort, wo es um Menschen und um Beziehungen geht. Das Wesentliche im Leben ist ein Geschenk, das man nur dann annehmen kann, wenn man selbst offen ist. Ich wünsche uns, dass es uns immer besser gelingt, als eine offene Gemeinschaft, die jede und jeden, der bei uns auftaucht, als Geschenk sieht und dadurch selbst bereichert wird.

Eine weitere wichtige Eigenschaft jeder guten Gemeinschaft ist „Nicht-Aufrechnen“ im Sinne von „Wer hat mehr geleistet, wer mehr geschwitzt, wer wichtigere Ämter ausgeführt?“ Das heutige Evangelium ist für uns immer eine Herausforderung, die uns bewusst macht, dass es bei Gott vor allem um die Großzügigkeit geht. Die Gemeinschaft lebt von der Vielfalt der Begabungen und des Engagements und nicht von der Leistung. Ich wünsche uns, dass es uns gelingt, jeden auch noch so kleinen Beitrag zur Gemeinschaft zu sehen und wert zu schätzen.

Und endlich sind wir bei der Frage nach dem Fundament einer guten Pfarrgemeinschaft. Und auch wenn es vielleicht im ersten Augenblick zu pathetisch und zu theologisch klingt, muss sie Jesus als Mittelpunkt haben. Ich meine hier nicht irgendwelche Statuen und Bilder und auch keine Litaneien, sondern seinen Geist der Liebe zu Gott und zu den Menschen, den Geist der Vergebung und der Freundschaft mit denen, die in der Gesellschaft nichts zählen, den Geist der Offenheit, der manchmal die Grenzen sprengt aber auch die Grenzen zieht, um das Leben zu schützen, zu stärken, dem Leben den göttlichen Sinn zu geben.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
ich danke heute allen, die das Leben der Pfarre in irgendeiner Weise in den letzten 60 Jahren mitgeprägt haben. Ich danke für Euer Dasein, das unsere Pfarre zu dem machte, was sie heute ist.
Ich wünsche uns allen, dass wir weiterhin ein guter Ort sein können, an dem die Menschen im Leben gestärkt werden. Ich wünsche uns, dass es uns immer besser gelingt, als eine offene Gemeinschaft, die jede und jeden, der bei uns auftaucht, als Geschenk sieht und dadurch selbst bereichert wird.

Slawomir Dadas
Pfarrer