Ich bereue nichts?

predigt2„Weil du über Stärke verfügst, richtest du in Milde und behandelst uns mit großer Nachsicht; denn die Macht steht dir zur Verfügung, wann immer du willst. Durch solches Handeln hast du dein Volk gelehrt, dass der Gerechte menschenfreundlich sein muss, und hast deinen Söhnen die Hoffnung geschenkt, dass du den Sündern die Umkehr gewährst.“ (Weish 12,18-19)

 

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

es passiert immer wieder, dass ein prominenter Mensch bei einem runden, hohen Geburtstag oder ein Sportler beim Abschluss seiner aktiven Karriere zu einem Rückblick aufgefordert wird. In einem solchen Gespräch wird manchmal die Fragen gestellt: Bereuen Sie etwas aus Ihrem bisherigen Leben, würden Sie etwas anders machen, wenn Sie es neu beginnen könnten? Einige von denen, zwei bekannte Namen möchte ich dabei nennen – der Sänger Udo Jürgens und den deutschen Fußballer Michael Ballack – antworteten in diesem Zusammenhang: ich bereue nichts. Ich möchte im Leben der beiden Herren und vieler anderer sogenannter Prominenter nicht graben und nicht aufzeigen, was sie alles bereuen könnten. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Udo Jürgens oder Michael Ballack die nächsten Kandidaten zur Selig- oder Heiligsprechung wären. Jeder Mensch macht doch Dinge, die nicht gut sind. Jede und jede produziert Missverständnisse, Verletzungen. Jede und jeder bedenkt manchmal die anderen zu wenig und tobt sich im Egoismus aus. Ist das nicht zu bereuen?

So stellt sich für mich die Frage, warum jemand das Gefühl hat, sagen zu müssen: „Ich bereue nichts“. Ist ein solcher Mensch so unkritisch, ist er so selbstverliebt, dass er auch die dunkelsten Stunden seines Lebens verklärt, oder hat er vielleicht Angst, dass er mit seiner echten Geschichte, mit seinen Fehlern und Versagen nicht angenommen wird?

Als gläubige Menschen haben wir einen anderen Zugang zu den eigenen Schwächen und Fehlern. Wir vertrauen auf Gott, der gerecht und auch milde ist, und der uns mit großer Nachsicht behandelt – wie wir heute aus dem Buch der Weisheit gehört haben (Weish 12,18). Wir setzten auf den Geist, der sich unserer Schwachheit annimmt (Röm 8, 26) und auf Gott, der unsere Herzen kennt und will, dass wir einst in seinem Reich leuchten wie die Sonne.

Wir brauchen vor der Welt keine Heiligen und Perfekten zu spielen und uns selbst nicht einzureden, dass wir nichts bereuen. Wir können uns annehmen, trotz unserer Schuld, trotz unseres Unvermögens und trotz viele Lebensumwege, die uns Leid tun, die aber untrennbar zu unserer Geschichte gehören. Mag sein, dass wir aus dem einen oder dem anderen Fehler gelernt haben und sie haben uns und unser Leben neu ausrichten lassen. Mag sein, dass die eine oder die andere Verletzung, die wir den anderen zufügten, uns sensibler machte und uns half, jetzt anders zu handeln. Aber auch sie gehört zu uns, zu unserer Entwicklung, zu unserem freien Willen, der uns nicht immer und nicht nur auf dem Weg der Liebe und des Friedens geführt hat. Wir brauchen nicht zu spielen, und uns nicht zu verstellen. Wir müssen den anderen nichts vormachen, damit wir anerkannt und angenommen werden. Denn all das geschieht durch Gott, der zu uns steht, gerade wenn wir das eine oder das andere bereuen, gerade, wenn wir im Rückblick ehrlich feststellen, dass wir uns da und dort verlaufen haben.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

auch wenn einige Menschen meinen, ihre Geschichte verklären zu müssen, um gut dazustehen: wir Christen müssen es nicht tun. Wir werden nicht unter Druck gesetzt, alles zu beschönigen. Wir müssen nicht wie die Saubermänner der Gesellschaft herum laufen, um den Schein zu wecken, dass es bei uns keine Probleme gibt. Der große Unterschied zwischen uns Christen und denen, die ihr Leben nach anderen Werten ausrichten, ist die Erfahrung der Vergebung, ist die Zusage, dass wir mit allen Rissen und Brüchen angenommen werden.

Ich wünsche uns allen, dass es uns gelingt, uns selbst ehrlich einzuschätzen und zu unserer eigenen Geschichte ehrlich zu stehen. Ich wünsche uns, dass wir im Vertrauen auf Gott unser Leben gestalten, der uns annimmt, der uns vergibt, der uns zu neuen Menschen machen möchte.

 

Slawomir Dadas

Pfarrer