Religiöse Demenz

predigt2Unsere Pfarre – Ort der Orientierung und Sinnfindung
Die globalen Veränderungen in der Welt und die anhaltenden Krisen verunsichern Menschen und werfen Fragen nach dem Lebenssinn auf. Unsere Tätigkeiten richten wir nach dem Wort Jesu aus: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10) und setzen uns kritisch mit allen Entwicklungen in der Gesellschaft und in der Kirche auseinander. Wir schaffen Möglichkeiten, damit in der Entscheidung für Gott die Menschen in unserer Gemeinschaft Lebenshalt finden.

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

die Demenz gehört zu den Herausforderungen unserer modernen Zeit. Wenn man von ihr spricht, dann meint man einen voranschreitenden Abbau der Leistungsfähigkeit eines Menschen. Davon sind das Kurzzeitgedächtnis, das Denkvermögen, die Sprache und nicht selten die Motorik betroffen. Einen dementen Menschen erkennt man im Alltag vor allem daran, dass er manchmal mehr, manchmal weniger verloren ist – orientierungslos. In der Regel ist die Frühphase der Krankheit für den Betroffenen besonders schwer auszuhalten. Er merkt, dass sein Leben eine Wende nimmt, dass er in vielen Bereichen des Alltags nicht die gewohnte Sicherheit hat, dass er immer mehr auf andere Menschen angewiesen und von ihnen abhängig wird. Für die Angehörigen wird es erst dann so richtig schwer, wenn ihnen bewusst wird, dass die Zeit eines gegenseitigen Austausches endgültig vorbei ist und wenn sie realisieren, dass der Kranke in einer anderen Welt als sie lebt, wenn sie nicht mehr wiedererkannt werden.

Gerade dieses Bild möchte ich jetzt an den Anfang des Advents stellen, weil wir uns in diesem Kirchenjahr mit dem Satz aus unserem Leitbild beschäftigen möchten: „Die Pfarre als Ort der Orientierung und Sinnfindung“ und der Advent eine Zeit der Neu-Orientierung im Leben sein könnte.

Es braucht keinen besonders tiefen Blick in die Gesellschaft, um festzustellen, dass im Bereich der Religion viele Menschen orientierungslos sind. Denn ich betrachte es nicht als Ausdruck einer besonderen Religiosität, wenn jemand in den Sternen oder im bloßen Brauchtum das Glück sucht, sondern als Zeichen der Orientierungslosigkeit. Gerade im Advent, der ursprünglich und eigentlich eine religiöse Zeit ist, wird die Verwirrung und Orientierungslosigkeit besonders spürbar. Denn so gut der Punsch, der warme Tee oder die Maroni auf einem der Adventmärkte schmecken, sind sie nicht direkt die richtungsweisenden Erfahrungen des Lebens. Und wenn durch einige Menschen der adventliche Erfolg an dem Umsatz der Einkaufswochenenden bemessen wird, dann traue ich mich zu sagen, dass solche Fachleute religiös dement sind. Sie sind im Bereich der Religion richtig verloren, sie kennen sich dabei nicht mehr aus. Mit vielen ist ein Austausch über die wahren Werte des Lebens nicht mehr möglich, weil sie sich nur noch im Kreis um sich selbst herumdrehen.

Der Advent kann für uns eine Zeit der Neuorientierung werden, wenn wir sie so nehmen und betrachten, wie sie gedacht ist. Er ist eine Zeit der Ankunft Jesu in der Welt, bei der zum Teil verwirrten Generation. Er ist eine Zeit der Wachsamkeit, um von den wesentlichen Dingen des Lebens nicht abgelenkt zu werden. Der Advent ist eine Zeit der Wiederentdeckung Gottes, der bei mir ankommen will, damit mein Leben mit Sinn, Liebe und Freude erfüllt wird.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

die Medizin hat derzeit noch keine Mittel gegen die Demenz gefunden. Wir müssen sie aushalten und den betroffenen Menschen in ihrer Welt zur Seite stehen. Im Gegensatz dazu gäbe es aus der religiösen Orientierungslosigkeit sehr wohl einige Auswege. Denn dort wo Menschen nicht versuchen, sich einen eigenen Glauben zusammenzubasteln, sondern sich auf Gott hin öffnen, dort kann er in ihr Leben eintreten. Dort, wo Menschen nicht alles zerreden, sondern auch zuhören, dort können sie Gottes Stimme in der Welt wahrnehmen. Als Pfarre bemühen wir uns, dafür Räume zu schaffen: in den Gottesdiensten, in den Gruppen und Aktivitäten, in den persönlichen Begegnungen. Der Adventkalender dieses Jahres wird bewusst machen, dass wir alle dazu eingeladen sind, uns immer wieder neu nach Gott und nach seinem Willen auszurichten. Wir wollen wachsam sein, wir wollen Gott bei uns ankommen lassen, um nicht der religiösen Demenz und der Orientierungslosigkeit zu verfallen.

Slawomir Dadas

Pfarrer