Fürchtet euch nicht!

predigt dadas„Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entferntund wurde von den Wellen hin- und hergeworfen; denn sie hatten Gegenwind. In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. Doch Jesus begann mit ihnen zu reden und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ (Mt 14,24-26)
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Als ich im Jahr 1999 die Pfarre Hörsching übernommen habe, wurde ich von einem Ministranten gefragt: „Wie alt bist du denn?“. Da der Pfarrer nicht lügen darf, habe ich ihm mein Alter verraten: „Ich bin 35 Jahre alt“.  „Na du bist aber alt“ – habe ich als Antwort darauf bekommen. Fünfzehn Jahre später stehe ich also vor Ihnen, ein Oldtimer aus der Vorzeit, aus dem vorigen Jahrtausend. Trotzdem kann ich mich noch ein wenig bewegen und ich möchte mit Ihnen heute darüber nachdenken, was wir mit dem Wort „alt“ verbinden. Denn dieses Wort wird langsam aus dem Leben hinausgedrängt und wird positiv vielleicht nur noch im Zusammenhang mit dem Wein, Schmuck oder mit einem Kunst- oder Bauwerk verwendet. Sogar die früher selbstverständlich genannten Altenheime sind heutzutage Pflege- und Seniorenbetreuungseinrichtungen. Auch der Spruch „Man ist so alt, wie man sich fühlt“, ist eine Art Flucht nach Vorne, um nicht als „alt“ bezeichnet zu werden. Warum ist dieses Wort  so schlimm? Sind wir dem Wahn der Leitungs- oder der Konsumideologie verfallen, die meinen, dass nur jemand, der viel produzieren und viel konsumieren kann, wertvoll ist?

Da ich die Meinung vertrete, dass der Mensch nicht aus seiner Produktionsfähigkeit und nicht aus seiner Kaufkraft seinen Wert schöpft, sondern weil er etwas göttliches in sich trägt, möchte ich Ihren Blick auf die Bibel richten.

Auch wenn dort im Zusammenhang mit dem hohen Alter von Mühseligkeit und Hilflosigkeit gesprochen wird, überwiegt in der Bibel die Überzeugung, dass ein langes Leben vom Segen Gottes abhängt. Denn viele Jahre können nicht automatisch erwartet und schon gar nicht geplant und gemacht werden. Sie sind ein Geschenk. Sie  ermöglichen die Freude an der gewachsenen Familie, an Kindern und Enkelkindern. Im Normalfall bedeuten sie eine reiche Erfahrung und einen langen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung und so verdienen sie eine gewisse Anerkennung und Ehrfurcht.

So gesehen, brauchen wir uns vor dem Spruch „Na, du bist aber alt“ nicht zu fürchten. Denn gerade jemand, der noch im hohen Alter vom eigenen Wert als Mensch überzeugt ist, hat sich selbst als Mensch verstanden und angenommen. Gerade die meisten, die nicht „alt werden dürfen“, die glauben „jung bleiben zu müssen“ – sie stecken in einer schweren Persönlichkeitskrise. Sie können mit der Vergänglichkeit nicht umgehen und machen alles, um vor sich selbst den Anschein zu wecken, dass sie die Alterungsprozesse nicht ganz erreicht haben.

Für uns Christen ist das Alter zwar eine Herausforderung, wie für jeden anderen, aber zumindest mit der Gewissheit, dass unser Leben durch Jahre nichts an Wert verloren hat. Gerade im Alter, wenn man nicht mehr mit dem Aufbau der Familie zu sehr beschäftigt ist, wenn man die Möglichkeit hat, auf vieles zurückzublicken, wird deutlicher und klarer was wichtig und wertvoll ist, wofür es sich lohnt zu leben.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Wir stehen am Ende des alten Jahres und dadurch wird uns bewusst, dass alles vergänglich ist. Nichts ist auf Erden endgültig: weder die Brüche, der Schmerz und die Trauer, die wir vielleicht in diesem Jahr erfahren haben, noch die Freude und der Aufbruch, die uns möglicherweise geschenkt wurden. In der Vergänglichkeit der Zeit und des Lebens wird uns vor Augen geführt, dass wir hier auf der Erde nicht das endgültige Glück erreichen können. Man kann damit unterschiedlich umgehen: man kann versuchen, den Augenblick zu halten und sich einzureden, dass man mit ein wenig Botox der Vergänglichkeit trotzen kann. Man kann aber auch das vergängliche Leben annehmen und auf den ausrichten – der ewig ist, der die Macht hat, der Vergänglichkeit ein Ende zu setzen.

Ich wünsche uns alten, dass wir das alte Jahr verabschieden als eine Zeit, in der wir durch Freude und Leid gereift sind. Ich wünsche uns, dass wir der Vergänglichkeit trotzen, indem wir uns selbst und die anderen annehmen können, als Menschen, die wertvoll sind, weil von Gott gewollt, geliebt und zum ewigen Leben mit ihm eingeladen sind.

Slawomir Dadas, Pfarrer