Vergebung

„Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen, und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann etwa der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen, und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm seine Bitte erfüllt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben was er braucht. Darum sage ich euch: Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet und wer anklopft, dem wird geöffnet.“ Lk 11, 5-10

Lieber Schwestern, liebe Brüder,
wissen Sie, was die Chefin des Internationalen Währungsfonds, der ehemalige Finanzminister und der bereits pensionierte Generaldirektor der Raiffeisenbank gemeinsam haben? Alle drei Personen waren in ihren beruflichen Positionen sehr mächtig und alle drei müssen sich jetzt vor Gericht wegen des Korruptionsverdachts verantworten. Es ist meinerseits nicht beabsichtigt, hier eine Vorverurteilung zu treffen, aber diese drei Personen sagen etwas über den Zustand der Finanzwelt und über das Vertrauen in unsere machtpolitischen Systeme aus. Wenn wir noch dazu den ehemaligen Innenminister aus OÖ nehmen und den Fußball-Weltverband, dann bekommen wir das Gefühl, dass die Ehrlichkeit, der Anstand und die Gerechtigkeit in den höheren Bereichen der Politik und der Wirtschaft tot sind. Aber nicht nur das, denn überträgt sich eine solche Haltung nicht auf die anderen Teile der Gesellschaft? Mit Sicherheit, denn das Gefühl der Sinnlosigkeit erreicht immer mehr Menschen und die zunehmende materielle Verarmung der Gesellschaft trägt auch zur geistigen Verarmung bei. Aber wen regt das noch wirklich auf, haben wir uns daran nicht schon gewöhnt? Wurde uns nicht eingeredet, dass man nichts dagegen tun kann? Und leben wir nicht in einem Dornröschen Schlaf, aus dem wir von einem ehrlichen Prinzen wachgeküsst werden wollen? Wer oder was kann eine solche Gesellschaft zum Leben erwecken?

Die heutigen Lesungen beschäftigen sich ebenfalls mit diesem Thema, wenn auch in einem anderen Kontext. Sodom ist eine geistig tote und nur noch auf die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse bedachte Stadt. Sie wird dem Gericht Gottes übergeben. Entsprechend der menschlichen Logik sollte sie vernichtet werden. Aber Gott ist nicht auf Rache bedacht. Er lässt sich auf die Verhandlung mit Abraham ein, um ein paar Gerechte zu finden, weil es Gott nicht um den Tod, sondern um das Leben in Gerechtigkeit geht. Eine Handvoll Menschen kann für sie Rettung bedeuten; vorausgesetzt dass sich solche Menschen finden.

Gottes Liebe zum Leben wird im Neuen Testament viel deutlicher. Die geistig tote Welt wird nicht mehr mit der Zerstörung bedroht, sondern in Christus wieder lebendig gemacht. Die Sünde, also alles was sich gegen das Leben stellte, wurde durch den Kreuzestod Jesu getilgt. Jetzt geht es darum, nicht mehr in der toten Vergangenheit stecken zu bleiben, nicht an ihr zu verzweifeln, sondern sich für das Leben aus der frohmachenden Botschaft Gottes zu entscheiden. Dazu brauchen wir keine Massen auf den Straßen, dazu brauchen wir keine Millionen virtueller Freunde, sondern Menschen mit einem lebendigen Herzen, Menschen, die für das Leben eintreten, die bereit sind, das Leben zu schützen und zu entfalten.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
die Sünde macht geistig tot. Sie entfernt den Menschen vom echten Leben, das auf Liebe, auf Güte, auf Gerechtigkeit, auf Entwicklung und Entfaltung ausgerichtet werden sollte. Die Sünde verhärtet das Herz und macht Menschen blind für die Nöte und Sorgen der anderen. Sie führt zum Egoismus, zur Ausbeutung, zum Alltag auf Kosten der anderen. Jesus Christus, der uns die Sünden vergibt, will dass wir uns für das Leben entscheiden. Er will, dass wir nicht wie in den Tiefschlaf  Versetzte herumlaufen, sondern wieder zum Leben aufwachen, um Freude zu erfahren, um die Welt mit ihrer Schönheit zu sehen, um selber dazu beizutragen, dass in unserer Umgebung das Leben und nicht der geistige Tod herrscht.

Ich wünsche uns allen, dass es uns gelingt, aus der Botschaft Gottes unser Leben zu gestalten. Ich wünsche uns, dass wir der moralischen Verwesung in der Politik und Gesellschaft zum Trotz hoffnungsvoll in die Zukunft gehen und Menschen mit der Botschaft Jesu anstecken und wir dadurch zu einer Kultur des Lebens beitragen.

 

Slawomir Dadas
Pfarrer