Fasten ohne Freiheit

Die Pandemiebeschränkungen haben uns in den letzten zwei Jahren zugesetzt. Viele Menschen haben dadurch den Wert der Freiheit entdeckt und von einigen wurde sie zum obersten Gebot erhoben. Aus der christlichen Sicht ist die Freiheit ein Bestandteil eines guten, geglückten Lebens, aber sie ersetzt das höchste Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe nicht. Die Freiheit ohne die Liebe – also ohne die Verantwortung für den anderen – ist in den meisten Fällen ein Vorwand für eine rücksichtslose Lebensgestaltung.

Die Fastenzeit hat gefühlsmäßig mehr mit Freiheitsbeschränkung als mit Freiheit zu tun. Der Verzicht und die Einschränkung werden dabei groß geschrieben und vor allem im Zusammenhang mit Ernährung und körperlicher Erneuerung gesehen. So wird das Fasten zum „Kulturerbe“, bei dem jede und jeder sich etwas auferlegt, um eine gute Figur, um die Reinigung des Körpers, um den Abbau des Winterspecks zu erreichen. Die neuen Trends springen dort auf und liefern immer neue Argumente, um die Fastenzeit für sich und die eigenen Interessen zu beanspruchen. Die Orthorexie, also der Drang nach einer gesunden Ernährung, ist nur ein Beispiel dafür. Solche Ideen und Moden führen den Menschen in neue Zwänge, anstatt ihn zu befreien.

Frei von ungesunden Bindungen

Die gerade begonnene Fastenzeit ist zuerst eine religiöse Zeit. Aus der christlichen Sicht müsste sie einen Raum schaffen, in dem sich die Gläubigen auf das höchste Fest, das Fest der Auferstehung Jesu, vorbereiten. Alleine aus diesem Grund geht klar hervor, dass die Fastenzeit mehr eine geistige als eine körperliche Vorbereitung ist. Sie möchte den Menschen auf seine ungesunden  Bindungen hinweisen und ihn davon frei machen. Denn der Mensch erliegt immer wieder der Versuchung, die eigene Freiheit aufzugeben, um „in“ zu sein, um aufzufallen, um als modern zu gelten, um mitzuhalten.

Die Fastenzeit könnte ihm helfen, seine eigene Geschichte mit den Augen Gottes anzuschauen. Sie könnte ihn befreien von unterdrückten Schuldgefühlen, von Machtgelüsten und Aggressionen, von Selbsterniedrigung und Selbstzerstörung. Sie macht frei für ein neues Leben, in dem Verantwortung, Versöhnung und Frieden spürbar werden.

Frei für das Gute

Im Buch Jesaja (58, 6-7) wird das Fasten als eine klare Absage an Egotrips dargestellt. „ … das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen…“

Ein echtes, religiöses Fasten macht also frei für das Gute und führt zu den anderen; besonders zu den Schwächsten, zu den Ärmsten, zu denen, die am Rand der Gesellschaft leben. Denn das Fasten hilft dem Menschen, sich selbst als Abbild des liebenden Gottes neu zu entdecken; es hilft, freier zu werden für ein konkretes Tun aus dem Geist Jesu.

Slawomir Dadas, Pfarrer
"Magazin" der OÖN vom 5. März 2022