Dankbar am Boden bleiben

Haben Sie schon einmal einen Redner erlebt, der beim Reden immer darüber nachdenkt, wie er auf andere wirkt? Konnten Sie seiner Rede folgen? Oder haben Sie mehr darüber nachgedacht, dass sich die Person zu wichtig nimmt? 

Oder haben Sie schon einmal einen Musiker spielen gehört, der beim Musizieren hauptsächlich an seinen Erfolg denkt? Welche Empfindungen löst das bei mir aus? 

Vielleicht ergeht es Ihnen bei solchen Erfahrungen wie mir. Ich denke mir immer: schade. Er / sie ist nicht so überzeugend, denn es geht ihm/ihr nicht um die Sache selbst …. Es wird deutlich, dass er oder sie mit sich selbst beschäftigt ist.  

Ich kann das besser als er! Solche Vergleiche stellen natürlich bereits kleine Kinder an, in der Schule lernen wir ausführlich, wie wir uns leistungsmäßig einordnen, unsere Werbung, politische Sendungen, Sport leben von Rankings, Vergleichen, Wettkämpfen. Das hat auch positive Seiten, wir werden leistungsfähig, wir entwickeln Selbstbewusstsein. Ohne den Spiegel, den uns andere Menschen vorhalten, können wir uns nicht entwickeln, weil wir kein Ziel vor Augen haben. Man kann sagen, am Du werde ich zum Ich.  

Sich zu vergleichen hat aber auch eine Kehrseite, nämlich dann, wenn wir anfangen uns selbst und andere zu bewerten. Wer immer bewertet, kommt zwangsläufig unter Druck. Selbstzweifel und Unsicherheiten können Begleiterscheinungen sein, wenn wir ständig das Gefühl haben müssen, dass wir anderen zeigen müssen, wie schön, klug, interessant oder beliebt wir sind. Heute ist das nicht zuletzt durch die sozialen Medien wie Facebook, Instagram, Snapchat oder TikTok zu einem Generalthema geworden. Früher hat man sich mit den Freunden und Freundinnen verglichen, heute mit der ganzen Welt. Dass dies unglaublichen Druck auf Menschen ausübt, wird in vielen Zusammenhängen deutlich. Die ständige Bewertung, das unausgesetzte Vergleichen trennt uns davon, einfach glücklich sein zu können. Noch problematischer wird es, wenn wir uns an dem aufbauen, dass wir andere geringschätzen. Wir vergiften damit die Beziehung zu anderen. 

Hochmut, Arroganz, Selbstüberschätzung sind Haltungen, die wir heute oft beobachten können, die aber genauso zur Zeit Jesu eine Rolle spielten. In dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner wird der Hochmut, der mit der Geringschätzung anderer einhergeht, zum Thema gemacht.  

Am Anfang des biblischen Textes wird vorausgeschickt, wem Jesus dieses Gleichnis erzählt, da heißt es: er aber sagte zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein und die verachteten die anderen dies Gleichnis. Jesus wendet sich mit seiner Belehrung an die Hochmütigen.   

Er zeigt ihnen am Beispiel des Pharisäers, also eines Gelehrten, eines Theologen, eine problematische Selbstwahrnehmung auf. Der Pharisäer betet zu Gott, danke, dass ich nicht so schlecht bin wie die anderen. Ich mache das und das, ich faste, ich spende, gut, dass ich nicht so bin wie der dort drüben, der Zöllner. Der Pharisäer kreist gedanklich um sich selbst. 

Der Zöllner, damals als eine unwürdige Person betrachtet, weil Zöllner die Steuern für die Römer eintrieben, (oft wird in der Bibel Zöllner mit Sünder gleichgesetzt), der Zöllner aber betet anders. Er wendet sich an Gott und bittet „sei mir Sünder gnädig“. Seine Selbstwahrnehmung führt ihn in einen Dialog mit Gott, in ein echtes Gebet.  

Das Gleichnis verdeutlicht zwei Haltungen: Hochmut und Demut.  

Hochmut, lateinisch „superbia“ wird heute oft mit dem Begriff Arroganz beschrieben, ist die Haltung, die nicht umsonst bereits in der mittelalterlichen Sündenlehre als hoch problematisch gesehen wurde. Neben Geiz oder Neid oder Zorn hat der Hochmut eine besondere Problematik: er befällt alle, die sonst das meiste im Leben gut oder sogar sehr gut gemacht haben und machen. Gefährdet sind jene, die sich immer bemüht haben und immer bemühen, die Tüchtigen, die Erfolgreichen, diejenigen, die immer nach Selbstoptimierung gestrebt haben, die Guten.  

Dem Hochmut entgegengesetzt ist der Begriff „Demut“. Dieser Begriff klingt für uns heute recht altfaderisch, ist aber sehr wertvoll. Wir müssen ihn ein bisschen übersetzen, um seine Bedeutung zu erfassen. Im mhd. Wort „Demut“ stecken die Begriffe „dienen“ und „Mut“. Demut, das Gegenteil von Hochmut, besteht nicht, wie oft gemeint wird, darin, sich geringer als die anderen zu fühlen. Demut bedeutet vielmehr sich von der Vorstellung der eigenen Wichtigkeit befreien. 

Tun wir das nicht, so schaden wir anderen und uns selbst. Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden, so heißt es im Bibeltext. 

Das Evangelium, das Jesus verkündet, möchte uns verdeutlichen, wie wir glücklich werden können, es zielt auf das Reich Gottes. Kranke werden gesund, Hungernde werden satt, Trauernde werden getröstet. Es geht um nichts weniger als das Lebensglück des einzelnen Menschen und der Menschheit, um das gute Leben, hier und heute. Dieses ist nur erreichbar, wenn wir unsere Wahrnehmung dafür schärfen, wie wir miteinander vor den Augen Gottes leben können. 

Wir alle sind Beziehungsmenschen, als solche stehen wir in einer dreifachen Beziehung:  

  • Wir stehen in Beziehung zu anderen Menschen,  
  • in Beziehung zu uns selbst  
  • und in Beziehung zu Gott.  

Aus der Haltung des Hochmutes (der Pharisäer) ergeben sich Verhaltensweisen, die auf allen drei Beziehungsebenen schaden:  

  • Gegenüber mir selbst schadet Hochmut, weil ich mich selbst überschätze, mir zum Beispiel dadurch schade, dass ich mich überfordere.  
  • Gegenüber anderen schadet Hochmut, weil ich zu ihnen auf Distanz gehe.  Indem ich sie kleinmache, entferne ich mich gefühlsmäßig, bin ich nicht empathisch. Die anderen werden mir gleichgültig. 
  • Gegenüber Gott schadet Hochmut, weil ich keine Grenzen anerkenne. Natur, Umwelt, Bedingungen des Lebens werden ignoriert, ich bediene mich daran und zerstöre dadurch meine Lebensgrundlagen. 

 

Auf den drei Beziehungsebenen wirkt sich eine demütige Haltung ganz anders aus:  

Sich selbst gegenüber demütig sein kann bedeuten, am Boden zu bleiben, sich selbst gut zu spüren, zu wissen, was man sich zutrauen kann. Meine Fehler erkennen und eingestehen (der Zöllner) kann mich frei machen und mir Neuanfang ermöglichen.  

Anderen gegenüber demütig zu sein kann heißen, anderen auf Augenhöhe zu begegnen, sie grundsätzlich wertzuschätzen, sie in ihrer Würde wahrzunehmen.  

Auf der Ebene der Gottesbeziehung schließlich zeigt sich Demut in einer Haltung der Dankbarkeit. Mich Gott zu verdanken heißt, meine Grenzen als Mensch anerkennen, nicht mit ihnen hadern, sondern sie dankbar annehmen, mich versöhnen und einverstanden sein mit dem, was ist. 

Wir können uns heute im Anschluss an dieses Gleichnis fragen, was christliche Gesellschaft und Lebensweise heute glaubwürdig und auch anziehend für andere macht.  

Die Haltung der Demut lässt anderen Platz zum Leben. Ein realistischer Blick auf mich selbst hilft  allen weiter. Entscheidend ist letztlich das Einsehen, dass es nicht darum geht, dass ich perfekt und optimal werde, sondern darum, mir bewusst zu sein, dass ich Mensch bin unter Menschen, und mein Dasein Gott verdanke.  

Der Benediktinerpater David Steindl-Rast hat seiner Biographie den Titel: „Ich bin durch dich so ich“ gegeben. Den titelgebenden Satz „Ich bin durch Dich so ich“ entnahm Steindl-Rast einem Liebesgedicht des US-amerikanischen Poeten Edward Estlin Cummings. D. Steindl-Rast bezieht diese Aussage auf Gott: „Ich bin durch dich (Gott) so ich“.  

Erst durch das bewusste Anerkennen eines göttlichen Du, kann ich ich sein. Jenseits von Optimierung und Selbstsucht kann der Mensch, der sich Gott verdankt, in Dankbarkeit sein Leben leben. Er muss sich nicht immer profilieren und mit anderen vergleichen. Er darf einfach sein und lässt andere sein.

Predigt am Samstag, 22.20 und Sonntag, 23.10.2022

Bibelstellen: Lk 18, 9-14 und 2 Tim 4,6-8.16-18, Sir 35,15b-17.20-22a

Predigt: MMag. Iris Gumpenberger