Die ewige Gerechtigkeit

Ein Schulfreund aus meiner Gymnasialzeit meinte immer, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte und sich nicht anders helfen konnte: „ich warte auf die ewige Gerechtigkeit“. Wie sehr er selber das ernst genommen hat und ob er gar wirklich in den Worten Trost gefunden hat weiß ich nicht. Vielleicht lag’s an unserer Erziehung im Jesuiteninternat. Uns andere hat sein Satz jedenfalls nicht beeindruckt. Abgesehen davon, dass er nie näher ausgeführt hat, was er unter ewiger Gerechtigkeit verstanden hat war es etwas, das jedenfalls nicht in diesem Leben eintreten würde. Den Tod haben wir ja normalerweise nicht in unserer Naherwartung.

Im Evangelium spricht Jesus vom ewigen Leben, das er den Menschen schenkt. Da steckt ja wieder so etwas Jenseitiges drinnen, erstrebenswert, natürlich, aber halt nicht in unserer Realität sondern nicht fassbar und nicht begreifbar für uns.
Wenn wir wirklich alles Wichtige unseres Lebens aber gar nicht in diesem Leben, in unserem irdischen, oft so schönen und oft so schwierigen Leben finden, sondern erst in der für uns nicht vorstellbaren Existenz nach unserem Tod – auf die wir gleichwohl fest glauben und vertrauen dürfen – dann müssten wir all unser Denken und unser Handeln, unser Sein dahin ausrichten. Würden wir dann nicht Gefahr laufen, unser Leben jetzt und hier zu versäumen. Oder hätte es denn ohnehin keinen Wert?

Der Autor des Johannesevangeliums hat eine Eigenheit. Wenn er vom „Leben“ und vom „ewigen Leben“ spricht, dann meint er das, was die anderen Evangelisten mit „Reich Gottes“ bezeichnen. Mit ewigem Leben ist hier also nicht nur das Leben nach dem Tod, in der Ewigkeit gemeint. Nein, es bedeutet die Gemeinschaft mit Gott, die uns Jesus schon jetzt anbietet und die sich nach dem Tod vollenden soll.
Und wenn es da heißt: „Das aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den einzigen wahren Gott erkennen“, dann ist mit „Erkennen“ nicht so etwas gemeint wie „ich habe Herrn Maier oder Frau Müller erkannt trotz schlechter Sicht oder trotz der Entfernung. Nach hebräischem Sprachgebrauch wird das Wort Erkennen in der Bibel verwendet als Erfassen des ganzen Wesens des anderen. Jemanden erkannt zu haben steht für eine ganz innige, ganz intime Beziehung.
Von Papst Benedikt XVI wird berichtet, seine letzten Worte wären gewesen: „Jesus, ich liebe dich“. Das würde für so ein Erkennen im biblischen Sinn sprechen.

Ich stehe da immer etwas hilflos daneben. Bei allem, was ich von Gott glaube, von ihm weiß, von ihm zu ergründen suche, bei allem Vertrauen und bei allem, was ich von ihm erfahren habe und, in Sternstunden, auch spüre, es bleibt zu viel Abstraktes, zu wenig Fassbares, zu viel Fremdes, als dass ich mir vorstellen kann, zu so einem tiefen Erkennen Gottes zu kommen. Und aus Gesprächen weiß ich, dass es vielen so geht. Was also tun?

Nun, es gäbe schon Möglichkeiten. Die sind zwar auch nicht leicht, aber dafür handfest und wahrnehmbar. Versuchen wir zum Beispiel, unseren Mitmenschen nicht zuerst nach Sympathie oder Antipathie zu begegnen, nicht danach wie moralisch gut oder schlecht sie sich verhalten, sondern versuchen wir uns zuerst daran zu erinnern, dass sie allesamt geliebte Geschöpfe Gottes sind. In ihnen können wir etwas von Gott erkennen.

Rudi Bittmann
Diakon