Gott erwählt … aber überfordert nicht

predigt dadas„So eilten sie hin und fanden Maria, Josef und das Kind, das in der Krippe lag. Als sie es sahen, erzählten sie, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war. Und alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten. Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach. Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten; denn alles war so gewesen, wie es ihnen gesagt worden ist.“ (Lk 2, 16-20)


Liebe Schwestern, liebe Brüder,
sind Sie „Verhaltensoriginell“? Kennen Sie diesen Begriff? Mit ihm werden besonders Schulkinder und Jugendliche bezeichnet, die sich auffällig verhalten. Ich möchte hier am Anfang des Jahres keine Polemik mit den Pädagogen führen, die glauben, dass ein Begriff die Realität verändern kann und jemand sich auf einmal besser fühlt, wenn sein Auftritt nicht direkt beim Namen genannt wird. Für mich ist viel wichtiger zu fragen, warum einige Kinder und Jugendliche bewusst oder unbewusst auffallen wollen. Was steht hinter der Entscheidung, etwas so zu tun, dass die Aufmerksamkeit der anderen sicher auf einen gerichtet wird? Möglich, dass solche Kinder zu wenig Beachtung finden. Vielleicht fühlen sie sich mit dem, wie sie sind nicht ernst genommen oder kommen mit unserer Zeit, die sich durch Unruhe, Lärm und durch ständige Reize auszeichnet, nicht zurecht. Da in unserer Gesellschaft solche Personen immer mehr und die Formen der „Verhaltensoriginalität“ immer extremer werden, ist es klar, dass die Lösung des Problems außerhalb des Systems gesucht werden muss. Und ich suche sie in der Person, der der heutige Tag gewidmet ist – in Maria. Denn Maria ist für uns nicht so sehr ein Vorbild des Lebens, sondern in Maria wird uns vor Augen geführt, wie Gott mit den Menschen umgeht. Und wenn die Menschen miteinander so umgehen würden, wie Gott mit ihr umgegangen ist, dann gäbe es keine auffälligen Kinder. Auf diesen Umgang Gottes mit Maria möchte ich jetzt kurz eingehen.

Gott erwählt und beschenkt, geht mit, traut zu aber überfordert nicht.

Eine der Eigenschaften unserer Zeit ist, dass man sehr viel vom Frieden und von der sozialen Verantwortung für andere spricht, aber sehr wenig dafür tut. Im Kleinen und im Großen werden die Mitmenschen als Konkurrenten gesehen, die bekämpft oder zumindest klein gehalten werden, weil sie sonst meinem Glück im Weg stehen könnten. Gott ist anders. An Maria sehen wir, dass er  großzügig erwählt und beschenkt. Er gibt Anteil an seinem Leben, er gibt Anteil an der Erlösung. Gott zwingt nicht, beschränkt nicht, er macht Angebote und lädt uns ein, auf sie positiv zu antworten. Er stellt den Menschen in den Mittelpunkt, ohne die Angst zu haben, dass er selbst dabei zu kurz kommen könnte.

Eine weitere Eigenschaft des 21. Jahrhunderts ist, dass viele Menschen unter Einsamkeit leiden. Der Egoismus mit dem Schlachtruf: „Selbstverwirklichung“ wurde in den letzten Jahren fast zu einer Tugend erhoben und er lässt kaum zu, dass man sich für die anderen vom Herzen interessiert und einsetzt. Ja, er macht bereits einige Familienbände kaputt, weil es unzumutbar sei, sich selbst manchmal hinten anzustellen und Zeit für die anderen zu investieren. Gott ist anders. An Maria sehen wir, dass er mitgeht, dass er in den schwierigsten Momenten seine Engeln ausschickt, um sie zu begleiten und zu beschützen, dass er ihr viel zutraut aber sie nicht überfordert. Gerade diese behutsame Begleitung macht ihr Mut zu neuen Erfahrungen und hilft ihr, selbstbewusst durch das Leben zu gehen.

Liebe Schwestern, lebe Brüder,
der 1. Jänner ist ein Tag viele Vorsätze und Träume, viele Überlegungen, wie das neue Jahr gelingen kann. Ich glaube nicht, dass der Weg zum Glück durch Verhaltensoriginalität führt, sondern durch die Gewissheit, dass Gott gut mit mir meint, wie mit Maria. Gott braucht keine auffälligen Menschen, sondern Kinder, Frauen und Männer, die sich als erwählte und beschenkte betrachten. Gott braucht keine Egozentriker, die immer im Mittelpunkt stehen müssen, um den eigenen Wert zu erspüren, sondern Menschen, die sich selbst begleitet wissen und mit den anderen mitgehen.

Ich wünsche uns allen, dass es uns gelingt in Maria die Erfüllung unserer eigenen Verheißungen zu sehen. Ich wünsche uns, dass wir selbstbewusst durch das Leben gehen, weil Gott zu uns steht, mit uns geht und uns auch in diesem Neuen Jahr mit seinem Segen beschenken will.

Slawomir Dadas, Pfarrer