Klimawandel: Von der Sozialverantwortung zur Versuchung des Neureichtums

„In jener Zeit wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt; dort sollte er vom Teufel in Versuchung geführt werden. Als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, bekam er Hunger. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird. Er aber antwortete: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. Darauf nahm ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn Du Gottes Sohn bist, so stürz dich hinab; denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er, dich auf ihren Händen zu tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es auch; Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen. Wieder nahm ihn der Teufel mit sich und führte ihn auf einen sehr hohen Berg; er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht und sagte zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest. Da sagte Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn in der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen. Darauf ließ der Teufel von ihm ab, und es kamen Engel und dienten ihm.“ Mt 4, 1-11

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
für diese Fastenzeit haben wir uns in der Pfarre eine Themenreihe vorgenommen, die wir unter das Motto „Klimawandel“ gestellt haben. Dabei wollen wir nicht auf die Erderwärmung eingehen, sondern auf die Veränderungen der zwischenmenschlichen Beziehungen, die sich eher in der Fase der Abkühlung befinden. Wir werden versuchen, aufzuzeigen, wie sich das Klima in der Kirche, bei den nachbarschaftlichen, freundschaftlichen oder familiären Beziehungen, oder am Arbeitsplatz ändert, aber auch, welche Wandlung die allgemein geltenden Werte durchmachen.

Heute geht es um den Wandel der Gesellschaft: Von der Sozialverantwortung zur Versuchung des Neureichtums.

Wir kennen noch den geflügelten Begriff „die guten alten Zeiten“. Darunter versteckt sie eine nostalgische Erinnerung an Ereignisse, die wir als etwas Besonders erlebt haben. Einmal war das ein wunderschöner Urlaub, einmal ein gutes Arbeitsklima in der Firma, wieder ein anderes Mal die langen Winterabende zum gemeinsamen Faulenzen mit Familie oder mit Freunden. Im Wissen, dass früher nicht alles besser war, dass es auf viele Menschen einen starken gesellschaftlichen Druck gab, dass die Autoritäten nicht selten ihre Position missbraucht haben, will ich trotzdem in der guten alten Zeit viel Positives finden. „Leben und leben“ lassen war das Motto nicht nur vieler Unternehmer, sondern auch in der Welt der Beziehungen.

Und genau in diesem Bereich, im Bereich des zwischenmenschlichen Zusammenlebens, der Sozialverantwortung für möglichst breite Schichten der Gesellschaft, im Bereich der Ehrlichkeit, die man als Handschlagqualität bezeichnet hat, hat sich vieles verschlechtert. Solche Stichworte wie Egoismus, Individualismus, Rücksichtslosigkeit, Gier, Neureichtum sind nur ein kleiner Auszug aus einer ganzen Palette von Beschreibungen dieser Situation. Und noch dazu die Affären der letzten Jahre. Sie haben allen gezeigt, dass die politische Korruption auf Kosten der Bevölkerung nicht nur ein Thema des Süden oder des Ostens ist, sondern auch in Österreich voll angekommen ist.

Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Österreichischen Dollarmillionäre vervierfacht, sodass 2019 ca. 313.00 Personen dazu gezählt wurden. Dem gegenüber stehen ca. 900.000 Menschen, die in Armut leben oder von der Armut direkt bedroht sind. Während einige Wenige sich alles leisten können, kann eine halbe Million von den österreichischen Kindern nicht einmal für eine Woche mit den Eltern auf Urlaub fahren.

Die Entwicklung könnte ich noch hinnehmen, wenn ich das Gefühl hätte, dass die Gesellschaftsverantwortlichen die Probleme sehen und versuchen würden, auf sie einzugehen. Aber nein, es wird oft mit der hohen Lebensqualität in Österreich argumentiert und ausgeblendet, dass viele Menschen keine Möglichkeit haben, an dem österreichischen Reichtum teilzuhaben. Versuchen Sie, mit einer Mindestsicherung von ca. 900 Euro und einer Mindestpension von ca. 1000 Euro zu leben, wenn sie für die Wohnung 600 Euro zahlen müssen. Ich freue mich, dass Österreich zu den reichsten Ländern der Welt gehört. Ich bin aber nicht erfreut, wie der Reichtum verteilt wird.

Im Evangelium haben wir heute von der Versuchung Jesu gehört, die sich auf den  materiellen Wohlstand, auf den Missbrauch der göttlichen Hilfe und auf den Glaubensabfall für den Reichtum der Welt beziehen. Jesus hat allen Versuchungen standhalten können, weil sein Bild von der Welt ein göttliches war: ein Bild der Gerechtigkeit und des Friedens. Jesus hatte nichts gegen den Reichtum, er hatte aber etwas gegen den Egoismus, gegen den Versuch, die Armut als Normalzustand zu begründen, gegen die Haltung, die Notleidenden sich selbst zu überlassen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
ich möchte nicht in der „guten, alten Zeit“ leben. Ich bin kein Verweigerer der Gegenwart und der Zukunft, mit ihrer Entwicklung. Und ich bin dafür, dass die Welt noch weitere Fortschritte macht.

Ich bin aber dagegen, dass am Altar der Entwicklung und der wirtschaftlichen Konkurrenz die soziale Verantwortung geopfert wird. Ich bin dagegen, dass man Begründungen produziert, warum Armut zum Leben gehören sollte, und ich bin dagegen, dass die Schere zwischen den Wenig- und Sehr-Viel-Verdienern immer weiter auseinander klafft.

Ich wünsche uns, dass wir nicht allen Versuchungen erliegen. Ich wünsche uns, dass wir aus der „alten, guten Zeit“ das Beste für die Zukunft mitnehmen und selbst dazu beitragen, dass die Welt durch uns gerechter, rücksichtsvoller, gemeinschaftlicher wird.

Slawomir Dadas
Pfarrer